Hinter den Dingen

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Friederike Kroitzsch: Die Herren der Münze

Katharina Kwaschik: Das Römische Heer hat Britannien verlassen. Die Welt ist im Wandel. Vieles, was war, liegt im Dunklen, da niemand mehr lebt, der sich erinnert – alles begann mit dem Prägen der Münzen.

Katharina Kwaschik: Drei Münzen den Gautenkönigen, die sich freun`, Sieben den Dänenherrschern in ihren Hallen aus Stein, Den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun, Eine dem schlauen Herrn am Flusse Trent, Im Lande Mercien, wo der Offa herrscht, Eine Münze zu prägen, Währung zu binden, In Einheit zu treiben und Macht zu finden, Im Lande Mercien, wo der Offa herrscht.

Katharina Kwaschik: Germanen kamen auf die Insel, beherrschten die keltischen Stämme. Sieben Königreiche waren es, die sich fortan untereinander bekämpften und um die Vorherrschaft rangen, bis sich die Waage der Macht im 8. Jahrhundert dem Herrscherhause von Mercien zuneigte… Und irgendwann in dieser Zeit wurde sie an den Ufern der im Nieselregen sanft wogenden Themse geprägt, um sie alle zu beherrschen:

Katharina Kwaschik: König Offas Münze.

Friederike Kroitzsch: Heute führt uns ein Silberpenny aus dem Münzkabinett der Staatlichen Museen im Bode-Museum zu den Machtkämpfen im Britannien des 8. Jahrhunderts. Er lässt uns sehr unterschiedlichen Riesen begegnen und zeigt uns, dass manche Frage, die nicht beantwortet werden kann, vielleicht einfach falsch gestellt ist.

Friederike Kroitzsch: Was erzählt uns die Münze über König Offa und sein Reich? Warum schauen sich auch Literaturwissenschaftler solche Gegenstände an? Und warum wird da ständig etwas geschenkt?

Katharina Kwaschik: …drinnen noch 12 kostbare Erbstücke…zwei Armreife, Gewand und Ringe, die größte Halsberge von der ich je… Ein Kelch wurde ihm gebracht und großer Freundschaftswille mit Worten bekundet und gewundenes Gold freigiebig überreicht…

Friederike Kroitzsch: Mein Name ist Sophie Ruch und sie hören: „König Offas Münze“ aus der Reihe:

Friederike Kroitzsch: (Jingle) Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören.

Friederike Kroitzsch: Nicht ohne Grund beginnen wir mit einer Anleihe bei J.R.R. Tolkiens berühmtem Fantasy Roman, dem Herrn der Ringe. In diesem fiktionalen Werk spielt ein besonderes Objekt – der Ring – eine zentrale Rolle. Seine Macht ist scheinbar grenzenlos und so wird er regelrecht zum handlungsleitenden Akteur innerhalb der Geschichte.

Friederike Kroitzsch: Objekte, die zu handelnden Akteuren werden, eine Geschichte bestimmen – was hat es damit auf sich? Wir machten uns zusammen mit zwei Literaturwissenschaftlern, die genau solche Objekte in der altenglischen Literatur untersuchen, auf den Weg ins Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel, wo eine von bzw. für König Offa geprägte Münze aufbewahrt wird.

Andrew James Johnston: Für Literaturwissenschaftler sind archäologische Objekte natürlich erstmal ein fremder Gegenstand. Für die altenglische Literatur aber ist es so, dass sie sehr viel thematisiert werden. Das heißt, wir haben eine ganz, ganz breite Palette von Gegenständen, die in ihrer Materialität diskutiert werden; verborgene Schätze, deren Bestandteile beispielsweise entweder noch wie neu und strahlend schön sind, oder aber bereits vom Zahn der Zeit angenagt sind und eigentlich poliert werden müssten, Objekte, die nicht mehr intakt sind und deren Schönheit oder Vollkommenheit man nur noch erahnen kann, weil Teile von ihnen fehlen, etwa ein Schwert mit einer geschmolzenen Schwertklinge, unterirdische Bauwerke wie Hünengräber, in denen wir aber gleichzeitig antike Überreste zu finden glauben.

Andrew James Johnston: Ich heiße Andrew James Johnston und bin Professor für Englische Philologie mit dem Schwerpunkt Mittelalter und Frühe Neuzeit an der Freien Universität Berlin. Ich bin Teilprojektleiter des Teilprojekts B01 im SFB Episteme in Bewegung, wo es um archäologische Objekte in der altenglischen Literatur geht. Zugleich bin ich auch Sprecher des Exzellenzclusters 2020 Temporal Communities – Doing Literature in a Global Perspective. Und auch dort geht es um die Frage von Zeitlichkeit und darum, wie Literatur Zeitlichkeiten herstellt und mit ihnen umgeht.

Friederike Kroitzsch: Die beiden Wissenschaftler, die wir heute begleiten, untersuchen archäologische Gegenstände in der Literatur. Sie erkunden ihre Wirkung auf die Wahrnehmung von Zeit, oder besser: die Erschließung verschiedener zeitlicher Dimensionen – in Bezug auf die Gegenwart der Menschen, die den Geschichten im Mittelalter gelauscht haben.

Andrew James Johnston: Auf diese Weise konnten zum Beispiel die altenglischen Menschen in ihrer Literatur sich vorstellen, wie es ist, wenn man in eine ganz, ganz andere Zeit zurückgeht, die kulturell andersartig ist, und daraus entsteht eine zweite für uns wichtige theoretische und methodische Frage, nämlich: Welchen Zusammenhang haben diese erfundenen Objekte mit in Wirklichkeit gefundenen Objekten, die wir zum Beispiel in Museen besichtigen können? Das heißt: Wie und welchen Einfluss hat das, was wir aus archäologischer Forschung erschließen können, auf unser Verständnis der altenglischen Literatur?

Andrew James Johnston: Und da wäre es ganz gefährlich, eins zu eins von dem einen auf das andere zu schließen. Wir sind keine Archäologen. Wenn wir uns mit Münzen beschäftigen, dann beschäftigen wir uns mit der Frage: Was sollen diese Münzen im Text bedeuten? Die Numismatiker – die Münzexperten – haben da ganz andere Ideen.

Christian Stoess: Mein Name ist Christian Stoess. Ich bin hier im Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin zuständig für die Münzen des Mittelalters bis zum Beginn der Neuzeit (ich setze die Grenze immer so beim Dreißigjährigen Krieg), sowie für alle ausländischen Münzen.

Friederike Kroitzsch: Die Vorderseite.

Friederike Kroitzsch: Im Münzkabinett des Berliner Bode-Museums, das insgesamt 540.000 historische Münzen aufbewahrt, liegt eine kleine silberne Münze vor uns. Sie wurde irgendwann zwischen 780 und 793 nach Christi Geburt, also im frühen Mittelalter, in England geprägt. Sie haben das Wort Herr Stoess.

Christian Stoess: Es handelt sich um ein etwa 18 Millimeter großes Metallstück, rund, wie so eine Münze zu sein hat, aus Silber. 18 Millimeter, wenn Sie sich das vorstellen, ist ungefähr so groß wie ein Ein-Cent- oder Zwei-Cent-Stück. Das Silber ist angelaufen, schwarz. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich eine Patina gebildet – unter Sammlern sehr beliebt, diese Patina, viel lieber als blank geputzte Münzen. Und…wir gucken uns jetzt mal die Vorderseite an. Die Vorderseite ist immer die, auf der die prägende Autorität genannt wird. Dort sehen wir eine barhäuptige Büste nach rechts mit einer gewaltigen Frisur, mit angedeuteten Locken und einem mit Strichen und Punkten gezeichneten Gewand.

Christian Stoess: Das Ganze ist eingefasst mit einem Perlkreis aus lauter kleinen Kugeln, und außerhalb dieses Perlkreises befindet sich die Aufschrift der Münze. Das geht los mit einem Kreuz. Wie fast alle mittelalterlichen Münzen hat auch diese Münze ein Kreuz in der Umschrift, und dann geht es weiter nach dem Kreuz "OFFA REX", Offa König, und endet dann wiederum mit einem Kreuz. Und auch außerhalb dieser Aufschrift ist dann wiederum ein Perlkreis – auch eine ganz gängige Art, Münzen zu gestalten im Mittelalter.

Friederike Kroitzsch: Offa war König des Landes Mercien. Das Königreich Mercien lag im Tal des Flusses Trent und seiner Nebenflüsse in der Region, die heute als English Midlands bekannt ist. Das Reich Offas lag also ziemlich genau in der Mitte der britischen Insel, umschlossen von sechs konkurrierenden Königreichen. Es ist kein Zufall, dass Münzen überliefert sind, die seinen Namen tragen.

Jan-Peer Hartmann: Offa war in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts der mächtigste König auf der britischen Insel. Er hat sehr lange geherrscht, also von 757 bis 796. Sein Vorgänger Æthelbald, der hat auch schon von Anfang des 8. Jahrhunderts bis eben 757 geherrscht, wurde dann ermordet, angeblich im Schlaf von seinem Leibwächter. Und sein Nachfolger, von dem man nicht weiß – da ist einfach nichts überliefert –, ob der vielleicht mit diesem Mord etwas zu tun hatte, der war dann aber nur kurz dran, bevor ihn Offa abgesetzt hat.

Jan-Peer Hartmann: Mein Name ist Jan-Peer Hartmann und ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt B01 "Artefakte, Schätze und Ruinen – Materialität und Geschichtlichkeit in der Literatur des englischen Mittelalters" im Sonderforschungsbereich Episteme in Bewegung.

Friederike Kroitzsch: Neben den Münzen sind zahlreiche Urkunden überliefert, die Offa von Mercien unterzeichnet hat. Der einflussreiche und gut vernetzte König wird auch in verschiedenen Chroniken erwähnt…

Jan-Peer Hartmann: Er ist ansonsten bekannt aus der Korrespondenz von Alkuin, der ein northumbrischer Mönch war, der am Hofe Karls des Großen gelebt hat und unter anderem Berater von Karl dem Großen war und Lehrer von den Söhnen von Karl dem Großen; da ist sehr Vieles belegt, insbesondere auch über die Beziehungen zwischen dem Karolinger-Reich und Mercien.

Jan-Peer Hartmann: Wofür Offa natürlich auch bekannt ist, heute gerade, auch der Name, ist ‚Offas Dyke‘. Das ist so ein Wall, der so rund 100 Kilometer lang ist an der walisischen Grenze. Der wurde wahrscheinlich nicht als Abgrenzung gegen ganz Wales oder alle keltischen Königreiche errichtet, sondern speziell gegen ein nördliches, das zu der Zeit gerade aufstrebend war. Es war auch keine bemannte Mauer, sondern eher so ein Wall, womit man Bewegungen, vielleicht auch von Viehdiebstahl oder Einfällen, ein bisschen verlangsamen oder kontrollieren konnte. Die Schätzungen, wie viele Menschen daran beteiligt waren, liegen zwischen 5.000 und 50.000 – was eben zeigt, was für ein mächtiger und reicher Herrscher Offa auch gewesen sein muss.

Friederike Kroitzsch: Der Wall zeugt von dem Konflikt zwischen Kelten, die die Insel bereits vor der Ankunft der Römer besiedelt hatten, und den germanischen Einwanderern, zu denen König Offa zählte.

Jan-Peer Hartmann: Es ist interessant, dass Britannien ja stark durch Migrationen geprägt ist. Und das ist sicherlich fast überall der Fall, aber in Britannien ist es eben schon früh oder fast durchgehend mit als Erklärungsmodell für politischen und kulturellen Wandel benutzt worden.

Friederike Kroitzsch: Zwar erwähnen die mittelalterlichen Chroniken die Einwanderer, es ist aber gar nicht so einfach, die Entwicklungen von der germanischen Besiedlung bis zu der Entstehung des Königsreichs Mercien nachzuzeichnen. Denn es ist nicht einmal bekannt, wie umfangreich die germanische Einwanderung überhaupt war: Waren es große Bevölkerungsgruppen, oder lediglich Eliten, die auf die Insel kamen?

Andrew James Johnston: Wir wissen auch gar nicht so genau, wo die Germanen herkamen. Früher dachten wir, wir wissen es sehr klar, weil wir immer von den Angeln, Sachen und Jüten ausgehen, wie sie auch genannt werden in den Texten. Das heißt von Leuten, die aus Norddeutschland und Schleswig-Holstein kommen. Heutzutage gibt es auch Forschende, die eher der Meinung sind, dass selbst Skandinavier dabei gewesen sein könnten. Das heißt also, der Einzugsbereich der germanischen Siedler, die nach England gekommen ist, könnte sehr viel größer sein und damit auch das Sprachgemisch.

Andrew James Johnston: Was dann passierte war, dass diese neuen germanischen Siedler verschiedene Königreiche gründeten, von Nord nach Süd. Früher sagte man ‚die Heptarchie‘, also sieben verschiedene Königreiche (Leser von „Game of Thrones“ werden sich da an etwas erinnert fühlen). Heute ist man da sehr viel vorsichtiger, nicht zuletzt, weil die Beziehungen zwischen diesen Königreichen instabil waren. Manchmal hat das eine das andere gefressen. Es gab wahrscheinlich kleinere keltische Rückzugsgebiete, von denen wir gar nicht wissen, ob sie wirklich existierten. Und schließlich gab es immer auch Traditionen keltischer Besiedlung und keltischer Herkunft, die dazu führen, dass wir nicht sagen können, wie angelsächsisch ein einzelnes Königreich in der Frühzeit wirklich gewesen sein wird.

Friederike Kroitzsch: König Offa jedenfalls machte seinen Einfluss auf besondere Weise geltend. Er ließ seinen Namen auf Münzen prägen. Kehren wir also zu den Numismatikern zurück, um zu erfahren, was über das Münzwesen der Zeit bekannt ist. Die einzigen Münzen, die sich seinerzeit im Umlauf befanden, waren noch römischer Herkunft. Mit dem Abzug der Römer nahm auch die Verfügbarkeit ihres Geldes als Währung ab. Was machten die Autoritäten in Britannien nach dem Weggang der Römer, die ihr ausgefeiltes Münzwesen quasi „mitnahmen“?

Karsten Dahmen: Die Leute haben ein Problem. Denen geht irgendwann das Geld aus, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn die kaiserlichen Münzstätten, die es in London gegeben hat oder zum Beispiel in Arles, die existieren nicht mehr. Es werden keine Lieferungen von Edelmetallen mehr da hingeschickt, die unter kaiserlicher Kontrolle ausgeprägt werden. Das heißt, eine ganze Zeit leben die sozusagen von den Resten, von dem, was da so umläuft.

Karsten Dahmen: Mein Name ist Dr. Karsten Dahmen. Ich bin seit 2005 am Münzkabinett und seit einigen Jahren auch in der Funktion als stellvertretender Direktor. Ich bin von meiner Ausbildung her eigentlich klassischer Archäologe. Jetzt sage ich auch, und Numismatiker. Meine Zuständigkeitsbereiche sind neben der Betreuung unseres Online-Katalogs die kuratoriale Betreuung der Münzen der römischen Spätantike, ab Diokletian. Ich betreue auch das Gallische Sonderreich im dritten Jahrhundert nach Christus.

Friederike Kroitzsch: Die römischen Münzen zirkulieren also weiter auf der Insel, werden aber mit der Zeit immer weniger. Sie gehen nach und nach verloren, werden eingeschmolzen, als Schmuck verwendet… bis der Mangel offenkundig wird und im Hinblick auf das Zahlungsmittel über Nachschub nachgedacht werden muss.

Karsten Dahmen: Aber irgendwann kommt natürlich der erste Schritt, dass man sagt: „Ja, Metall kriegen wir ja irgendwie, aber die Münzen müssen wir uns wohl jetzt selber machen“. Und das ist eine Phase, in der sozusagen die alten Münzen Roms nachgeprägt werden. Das sind sogenannte pseudoimperiale Münzen. Und man prägt, sozusagen in unseren Augen in relativ geringer Qualität – im Sinne von Ästhetik –, der Metallwert ist in Ordnung, aber wenn wir darauf gucken, sagen wir: „Das ist ja barbarisch“. Die Leute lernen es gerade neu…

Friederike Kroitzsch: Sie lernen, selbst Münzen zu fertigen, und orientierten sich dabei an den noch vorhandenen römischen Münzen. Aber was übernahmen sie genau von ihnen?

Karsten Dahmen: Da gab es die Vorgabe, da soll stehen: der Name des Königs und sein Titel, also rex, und das Bild des Königs, genau wie bei Offa, und auf der Rückseite steht der Ort, möglicherweise wo es hergestellt wurde oder wechselnd auch Vorderseite, Rückseite der Name des Münzmeisters, also die Verwaltungskontrolle war wichtiger als die Einheitlichkeit. Und diese Münzen werden in Gold geprägt und sorgen dafür, dass man so seine Zollwirtschaft und den Handel laufen lassen konnte, denn vom Wert her sind diese Dinge viel zu groß, als dass man auf den Markt geht und zwei Pfund Brot damit kaufen kann.

Karsten Dahmen: Das heißt, das ist eine Geldwirtschaft auf höherer Ebene, es ist mehr so eine Regional- und Fernhandelswirtschaft, so muss man sich das vorstellen… Ungefähr 670 gibt es einen großen Wandel. Man geht vom Gold weg zum Silber, offensichtlich, weil der Goldnachschub einfach nicht funktioniert, es ist einfach nicht mehr genug da. Und man hat aber zum Beispiel im Frankenreich Silberquellen entdeckt.

Friederike Kroitzsch: Während der alltägliche Handel eine Tauschwirtschaft auf Warenebene blieb, wurden die römischen Münzen, die auf der Insel verblieben waren, weiterhin in der Wirtschaft auf höherer Ebene verwendet. Erst nach und nach wurden sie durch eigene Nachprägungen ersetzt. Dass es diese „Schätze“ aus römischer Zeit aber noch gab, zeigt etwa die vermutlich in den frühen 890er Jahren verfasste Angelsachsenchronik, in der es heißt:

Andrew James Johnston: Anno ccccxviii. Her Romane gesomnodon al þa goldhord þe on Bretene wæron ⁊ sume on eorþan ahyddon þæt hie nænig mon siþþan findan meahte ⁊ sume mid him on Gallia leddon.

Katharina Kwaschik: Jahr 418. Hier versammelten die Römer alle Goldschätze, die in Britannien waren, und manche versteckten sie in der Erde, so dass niemand sie jemals wieder finden konnte, und manche führten sie mit sich nach Gallien.

Jan-Peer Hartmann: Und allein daraus sieht man natürlich – oder wir wissen es ja auch aus Funden, Grabbeigaben usw. –, dass eben solche Münzfunde gemacht wurden, auch im frühmittelalterlichen Britannien, und dass die römischen Münzen und andere Gegenstände wiederverwendet wurden. Übrigens auch von Gebäuden, also das ist so in den letzten 20 Jahren ein beliebtes Thema unter Archäologen geworden, sich anzugucken, in welchen angelsächsischen bzw. frühmittelalterlichen Bauwerken Steine, Teile von Triumphbögen aus Theatern aus der römischen Zeit wiederverwendet wurden.

Andrew James Johnston: Für die Angelsachsen waren die römischen Objekte als solche erkennbar und zwar ganz bewusst als solche erkennbar und wurden auch mit großer Faszination bestaunt; sie hatten dafür ein Wort oder einen Begriff enta geweorc, manchmal auch eotena geweorc, je nach historischem Zeitpunkt und nach Dialekt und das heißt „das Werk der Riesen“, das ist eine poetische Metapher. Das heißt nicht, dass sie grundsätzlich dachten, das sei von Riesen hergestellt worden, sondern das heißt vielmehr, dass es Ausdruck einer überlegenen Kultur ist, die die Angelsachsen mit Faszination über einen langen historischen Zeitraum betrachteten. Für sie waren die Römer eine hervorragende Zivilisation, die Grandioses geleistet hatte und der sie sich irgendwie auch unterlegen fühlten und zugleich nacheifern.

Friederike Kroitzsch: Anzeichen für die Bewunderung und ein Nacheifern gegenüber der römischen Kultur finden wir auch auf unserer Münze. Nun steht König Offa mit seinem Portrait aber nicht nur für die Nachahmung römischer Vorbilder, sondern auch für eine Zeit der Reform, die er mit seiner Regentschaft verbindet.

Karsten Dahmen: Diese Münze ist ein Erzeugnis einer bedeutenden Umbruchzeit, das Besondere ist hier, das Bildnis des Königs erscheint, es gibt eine eigenständige königliche Münzprägung. Das ist ein ganz großer Schritt vorwärts. Das zeigt aber auch den Anspruch, den er hat. Die Münze ist also nicht nur ein Geldtauschmittel, ein Werkzeug, ein Thesaurus für Geld und Werte, sondern es ist auch ein königliches Instrument zu sagen: "Hallo, ich, Offa, der König".

Christian Stoess: Jetzt darf man ja diese Münzprägung in Mercia nicht isoliert sehen, sondern muss sich angucken, wie das auf dem Kontinent aussieht. Und die andere große Macht, das Karolingerreich, hat eine Münzgeschichte, die doch in vielen Punkten parallel läuft zu der von Mercia. Und wenn wir uns jetzt mal den Silbergehalt und das Gewicht der Münzen angucken, stellen wir fest, dass in beiden Reichen um 793 etwas ganz Grundsätzliches passiert ist. Im Karolingerreich hatten wir relativ leichte Pfennige, und dann gab es eine große Münzreform, und das Gewicht der Pfennige wurde drastisch hochgesetzt um ungefähr 30 Prozent, und genau zeitgleich – die englischen Kollegen meinen, es sei ein bisschen eher gewesen – passiert das Gleiche auch in Mercia. Auch dort setzt Offa das Gewicht der Münzen etwas hoch. Also, wir haben hier eine Münze vor dieser Reform, vor 793, sag ich mal, mit ein bisschen mehr als einem Gramm, nachher wiegen die so 1,4, 1,5 Gramm.

Karsten Dahmen: 771 ist Karl der Große Alleinherrscher nach dem Tod seines Bruders Karlmann und erst 793, zwanzig Jahre später kommt seine große Münzreform, die dann quasi dieses „Wir kommen aus dem geldlosen Zustand nach Rom hin: wir haben eine zentralisierte Königsmacht, die es auch zeigt, die auch die Macht hat, Münzen herzustellen, die schwerer sind als ihre Vorgänger“. Das bedeutet nämlich, dass man in der Lage ist, die Wirtschaft so zu kontrollieren, und auch das Selbstbewusstsein hat, dass das gute Geld nicht verschwindet. Normalerweise verdrängt schlechtes, leichtergewichtiges Geld das gute, schwergewichtige, weil die Leute sich das einstecken. Da war Karl der Große in der Lage, das durchzuziehen und sozusagen die Münzprägung völlig neu aufzustellen für die nächsten hunderte Jahre. Der Pfennig Karls des Großen ist der Pfennig des Mittelalters.

Friederike Kroitzsch: Karl der Große und sein Frankenreich – verrückt, offenbar lässt sich die Geschichte von König Offas Münze nicht erzählen, ohne Offas Verbindung zu Karl dem Großen zu beleuchten und seine Geldwirtschaft zum Vergleich heranzuziehen. Die ausführlichsten Informationen zur Beziehung zwischen den beiden stammen von dem bereits erwähnten Geistlichen Alkuin, der am Hofe von Karl dem Großen lebte.

Jan-Peer Hartmann: Zum Beispiel gibt es eben diese Episode, wo Karl der Große um die Hand der Tochter von Offa angehalten hat, für seinen Sohn, und Offa hat dann vorgeschlagen, dass ja dann auch sein Sohn Ecgfrith eine Tochter von Karl dem Großen heiraten könnte. Daraufhin herrschte erstmal Funkstille, und Karl der Große... also Alkuin sagt, der König wäre etwas verärgert gewesen über diesen Vorschlag und er hat dann erstmal ein Handelsembargo verhängt, woraufhin Offa seinerseits ein Handelsembargo verhängt hat. Schon nach wenigen Jahren blühte dann wieder der Handel zwischen den beiden. Und in der Korrespondenz zwischen Karl dem Großen und Offa geht es auch oft um Handelsgüter und Schutz für Händler, dass wenn englische Händler belästigt werden im Karolingerreich, dass sie sich direkt an Karl den Großen wenden können und dass er doch darum bittet, dass Offa dasselbe tut. Also, was man daraus erkennt ist, dass Karl der Große Offa vielleicht nicht als ebenbürtig gerade gesehen hat, aber dass er ihn trotzdem als wichtigen Verbündeten und Partner in verschiedenen Dingen angesehen hat.

Friederike Kroitzsch: Die bessere Hälfte.

Friederike Kroitzsch: Karl der Große, Offa, deren Söhne, der Mönch Alkuin…

Andrew James Johnston: Wir reden die ganze Zeit immer nur von Männern, und wir haben hier den seltenen Fall, dass mit Cynethryth auch eine Frau relativ prominent wird.

Jan-Peer Hartmann: Cynethryth war Offas Ehefrau, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Æthelbald, der keine Ehefrau im christlichen Sinne zumindest hatte. Also er hatte Kinder mit mehreren Frauen, das war durchaus üblich. Während Offa eben ganz klar eine Frau als seine Königin erhoben hat – das war vielleicht auch (also man darf das vielleicht nicht zu feministisch betrachten) eine Frage der Nachfolgeregelung, dass er eben dadurch sagen konnte: ‚Das ist meine christlich angetraute Ehefrau, sie ist Königin dieses Reiches, und dementsprechend ist natürlich ihr Sohn dann der nächste Thronfolger.‘

Friederike Kroitzsch: Diese Absicherung seiner Nachfolge mit einem rechtmäßigen Sohn war leider nur wenig erfolgreich. Der Sohn von Offa und Cynethryth trat nach Offas Tod zwar die Regentschaft an, starb aber schon nach wenigen Monaten.

Jan-Peer Hartmann: Trotzdem hatte Cynethryth natürlich eine Vormachtstellung, also Alkuin schreibt, sie ist zu sehr in die ganzen Geschäfte des Königs eingebunden, als dass sie seine Korrespondenz lesen könnte.

Karsten Dahmen: Das Besondere an dieser Dame, an Cynethryth ist, dass sie tatsächlich auch auf einer Münze dargestellt ist. Und das ist halt eine absolute Ausnahme. Cynethryth ist die einzige angelsächsische Königin, die auf den Münzen – und das sind die Silbermünzen, die Pennys – erscheint, und das Münzkabinett hat das große Glück, ein Exemplar einer solchen Münze haben zu können. Und sozusagen die Grammatik, die Nachricht dieser Münze ist ganz ähnlich zu der, die Offa selbst herausgibt.

Christian Stoess: Ganz interessant bei dieser Cynethryth-Prägung ist ja auch, dass sie dann von England, von Mercia aus auf den Kontinent gewirkt hat, auf Karl den Großen. Also Karl der Große, das wissen wir durch eine ganz junge Fundmünze, hat auch eine Prägung machen lassen, wo sowohl er genannt wird, als auch seine vierte Frau Fastrada. Und zwar interessanterweise eindeutig nach der Prägung von Cynethryth. Also hier hat ganz klar der Karolinger abgeguckt bei Offa und das ist ja in beiden Fällen – das muss man den Historikern überlassen – aber auch zumindest ein Symbol der Teilhabe an der Macht von den Frauen.

Jan-Peer Hartmann: Also selbst wenn ursprünglich vielleicht Offa in erster Linie um die Legitimation seiner Nachfolge ging, hatte sie natürlich Einfluss, und das ist dann in Mercien auch geblieben. Also das Königreich Mercien endete dann im frühen 10. Jahrhundert, also 918, mit zwei Königinnen.

Jan-Peer Hartmann: Die erste war Æthelflæd, die auch ‚Lady of the Mercians‘ genannt wird, die nach dem Tod ihres Mannes einfach weiterregiert hat und die dann den Thron an ihre Tochter Ælfwynn weitergegeben hat. Nur wurde dann leider Ælfwynn von ihrem Onkel, dem König von Wessex, abgesetzt und wahrscheinlich ins Kloster geschickt. Und damit endete dann auch das Königreich Mercien.

Friederike Kroitzsch: Nicht so eilig. Zurück zum florierenden Mercien und den politischen Strategien der Herrschaft Offas, die sich an seiner Münze ablesen lassen. Was ist da im Einzelnen genau zu sehen? Wie lässt sich das abgebildete entschlüsseln?

Friederike Kroitzsch: Die Inschrift OFFA REX wird gerahmt von zwei christlichen Kreuzen. War die Bevölkerung vollständig Christianisiert, weiß man das?

Jan-Peer Hartmann: Also, die Christianisierung Englands oder Britanniens ist insofern ein sehr langwieriger Prozess, als die Briten, also die Kelten, größtenteils bereits christlich waren, während ja die germanischen Einwanderer es nicht waren.

Andrew James Johnston: Für die Angelsachsen im 8. Jahrhundert war es ganz klar, dass sie Christen waren, und darauf waren sie auch sehr stolz – so stolz, dass sie das Christentum sogar exportieren konnten. Also für Karl den Großen stellten sie theologische und geistliche Experten zur Missionierung der Sachsen beispielsweise zur Verfügung. Aber zugleich waren sich die Angelsachsen auch immer sehr bewusst, dass sie als Heiden in ein Land gekommen waren, das eigentlich von Christen bereits besiedelt war, weitgehend – und das war für sie ein Problem. Insofern hat diese Frage (Wo kommen wir her? Wie kommen wir überhaupt dazu, hier zu sein? Was ist unser Status als Christen?) für sie eine große Rolle in der historischen Selbstdeutung gespielt.

Jan-Peer Hartmann: Ob die jetzt irgendwelche heidnischen Bräuche vielleicht noch in irgendeiner Form weitergelebt haben, unter den Sklaven oder Untertanen, ist natürlich schwer zu sagen. Die Konflikte sind eher zwischen den Inselkeltischen Kirchen, also der britischen und irischen auf der einen Seite, und der englischen Kirche, die sich ganz klar nach Rom orientiert, und da geht es in erster Linie eigentlich immer um Konflikte bei der Berechnung des Osterdatums und der Form der Tonsur, weil die keltischen Priester hatten ja praktisch eine Art Vokuhila, hinten lang oben kurz, während die römischen diese Form der Tonsur, in der Mitte kahl, wie wir sie heute kennen, getragen haben.

Friederike Kroitzsch: Die Kreuze, die den Namen Offas rahmen, sind also ein Bekenntnis zur christlichen Religion. Die Stempelschneider, also die Handwerker, die die Negativformen der Münzseiten schnitten, mit denen dann von beiden Seiten aus Plättchen des Münzmetalls die Münzen mit Hammerschlägen geprägt wurden, diese Stempelschneider also waren gefordert, ein Portrait zu entwerfen. Und sie orientierten sich an dem, was sie kannten,– den „Riesen“ des Römischen Reiches. Auf alten römischen Münzen war schließlich oft das Bildnis des Kaisers im Profil dargestellt. So ähnlich wollte man es mit König Offa halten. Gab es eine konkrete gestalterische Vorlage für das Portrait auf König Offas Münze?

Karsten Dahmen: Interessant ist auch, wenn wir uns andere Münzen von Offa angucken, dann sehen wir, der sieht da ganz anders aus. Also, der Grad der Zentralisierung ist sozusagen auf der Ebene des Münzmeisters. Man hat dem Münzmeister gesagt: "Wir brauchen hier so Bild, König, du weißt, da muss Offa König stehen, und natürlich dein Name." Und den Rest hat der sich sozusagen selber zusammengereimt. Und es wird natürlich gerne gesucht nach Vorbildern für das Bildnis von Offa. Das machen die englischen Kollegen dann natürlich auch ganz gerne, zu sagen: "Hier, da gibt es eine römische Münze, da ist der Kaiser drauf, der sieht ihm ganz ähnlich." Ja, aber es ist mehr so die generelle Idee, die Attitüde. Ich stell mich dar wie ein Kaiser, wie der römische Imperator.

Friederike Kroitzsch: Ach, ja. Da ist es wieder, dieses „Zeitgesicht“, das uns schon bei der persönlichen Zuschreibung der Büste in der Folge zum „Grünen Caesar“ das Leben schwer gemacht hat. Im Fall von Offas Münze geht es also tatsächlich primär um die Merkmale eines „Kaisers/Königs“ und weniger um das konkrete Aussehen Offas, dem das Portrait entsprechen sollte. (murmelt) Angesichts der Größe eines solchen Silberpennies scheint eine akkurate figürliche Darstellung einer Person allerdings auch kaum einlösbar.

Karsten Dahmen: Auch beim Offa ist es so, dass sein Oberkörper mit Gewand oder Ornamenten verziert ist, aber nicht so eindeutig, dass wir sagen können, es wäre z. B. eine Rüstung, sogenannter Panzer, bei dem müssten wir normalerweise so Lederklappen an den Schultern haben, die kann man dann immer besser erkennen als den Panzer selber, weil der auf den Münzen mit Linien und Punkten dargestellt wird – da wissen wir es auch nicht. Also die Geschlechtlichkeit der Person ist eigentlich nur im Rückschluss auf die Umschrift, die die Person benennt, möglich, aber dafür sind wir sehr dankbar, weil wann haben wir das schon, dass wir historische greifbare Personen, tausenddreihundert Jahre alt, so auf den Punkt benennen können.

Friederike Kroitzsch: Soweit die Vorder- oder Kopfseite der Münze, schauen wir mal, was auf der anderen Seite zu sehen ist und ob sich diese eindeutiger interpretieren lässt.

Friederike Kroitzsch: Die Rückseite.

Christian Stoess: Und jetzt drehen wir die Münze mal und gucken uns die Rückseite an. Da sehen wir erst mal oben und unten jeweils eine Schriftzeile. Oben steht dann Kreuz "CIOL" und unten geht es weiter mit "HARD", H-A-R-D, Ciol Hard, dieser Ciolhard, ist derjenige, der die Münze gemacht hat oder zumindest die Verantwortung dafür hat, wie diese Münze geprägt wird; also dass sie den richtigen Feingehalt hat, das richtige Gewicht und so weiter. Das ist Ciolhard, den die meisten Forscher in London verorten. Also, die Münze wird wahrscheinlich in London geprägt worden sein. Zwischen diesen beiden Schriftzeilen ein ganz komisches Gebilde.

Christian Stoess: Das sieht aus erstmal wie eine liegende Acht, und wenn man sich das genauer ansieht, ist das ein Tier – nennen wir es mal Schlange. Also stellen Sie sich vor eine Schlange, wie eine liegende Acht hingelegt mit einem Kopf mit großen Ohren und Augen. Aber eine Schlange kann es eigentlich nicht sein, denn das Viech hat Haare. Also es muss – es ist was anderes. Ich selber kann das nicht interpretieren, was es ist. Vor dem Kopf dieses Tieres noch eine Reihe von Punkten, vielleicht die Zunge oder speit irgendetwas aus.

Friederike Kroitzsch: Ein haariges schlangenartiges Wesen, lässt sich das irgendwie zuordnen? Ist es keltisch, oder germanisch? Enthält es eine Botschaft?

Karsten Dahmen: Einiges verstehen wir ja auch nicht. Wir wissen nicht so wirklich genau, wo das herkommt, wir wissen nur, dass solche Biester und schlangenähnlichen Viecher, die behaart sind, in der Zeit häufiger auftreten. Wir kennen sie zweihundert Jahre früher im sogenannten Germanischen Tierstil, in vielen anderen Aspekten, zum Beispiel in der Bewaffnung und Ornamenten, dass da alle Flächen mit irgendwelchen verschlungenen Viechern verdeckt werden müssen, weil man sozusagen Angst vor der leeren Fläche hat. Aber was das jetzt bei Offa, einem christlichen König sozusagen, wirklich ausdrücken soll, das wissen wir nicht.

Christian Stoess: Also ich persönlich warne immer davor, Münzbilder überzuinterpretieren. Die Stempelschneider haben sich aus einem großen Bilderkanon bedient und das Ganze wurde flankiert eben durch Vorgaben seitens der Münzautorität, in unserem Fall Offa, und alles, was darüber hinausgeht, also Vorgabe ist: da hat mein Kopf drauf zu sein oder meine Büste und das muss sich dann in der Umschrift widerspiegeln, alles, was darüber hinausgeht, halte ich für eine unzulässige Spekulation.

Friederike Kroitzsch: Ist die Gestaltung der Rückseite durch den Stempelschneider willkürlich? Ein bedeutungsloser Platzhalter, eine persönliche Laune oder ein Zufallsprodukt?

Karsten Dahmen: Aber nicht im Sinne von ‚gerade eingefallen‘, sondern es kommt sozusagen aus der Region, aus der Kultur dieser Person. Das ist eine Reflexion dessen, was man kennt, mit dem man aufgewachsen ist. Es ist nicht völlig willkürlich.

Friederike Kroitzsch: Die Literaturwissenschaftler setzen bei der Erkundung der archäologischen Objekte in ihren fiktionalen Texten auf Hilfestellungen der Numismatik und Archäologie. Wie hilfreich ist es aber andersherum, Gegebenheiten und Motive literarischer Werke mit der Bildwelt auf Münzen abzugleichen? Wir erproben dies an König Offas Münze. Hierfür nehmen wir zunächst „das“ altenglische Epos, den Beowulf, in die Hand, der uns zu einem anderen Blick auf die Münze inspirieren wird.

Friederike Kroitzsch: Beowulf wurde irgendwann zwischen 700 und 1000 gedichtet – wann genau, darüber streiten die Wissenschaftler*innen. Das Epos handelt vom gleichnamigen Helden – Beowulf – einem Krieger aus dem Gautenland, dem heutigen Südschweden. Er reist nach Dänemark, wo der Hof regelmäßig von einem riesigen Ungeheuer heimgesucht wird. Beowulf gelingt es, erst dieses Ungeheuer, Grendel, und dann auch noch dessen Mutter, zu besiegen. Anschließend kehrt er reich beschenkt in seine Heimat zurück, wo er Jahre später zum König ernannt wird und in hohem Alter in einem Kampf gegen einen Drachen stirbt.

Andrew James Johnston: Es ist ein hochgradig kunstvolles Epos, in dem sehr viele Blicke in Zukunft und Vergangenheit geworfen werden durch Abschweifungen und Geschichten und Erzählungen, die eingebunden werden, aber oft nur andeutungsweise. Es ist geschrieben in jener altenglischen Sprache, also jener Sprache, die die Engländer zwischen dem 7. und dem 11. nachchristlichen Jahrhundert sprachen und die uns in dieser Zeit schriftlich überliefert ist, die sich eher anhört wie Deutsch, die eine alte germanische Sprache ist und mit dem Neuenglischen, das aus ihm hervorgegangen ist, kaum zu verstehen ist. Und in diesem auf altgermanische Weise gedichteten Epos, also nicht Endreim-Dichtung, sondern Stabreim-Dichtung, "wēox under wolcnum" (er wuchs unter den Wolken), in diesem altenglischen Epos ist so etwas wie die gesamte Perspektive der altenglischen Kultur auf eigentlich eine fremde skandinavische Kultur geborgen.

Friederike Kroitzsch: Es überrascht vielleicht im Kontext dieser Folge zu Offas Münze, dass im Beowulf Münzen keine Rolle spielen. Wer den Beowulf liest…

Andrew James Johnston: …der wird immer wieder feststellen, dass zwar von Schätzen die Rede ist, aber nie von Münzen. Während wir natürlich von den Objekten, die wir heute hier auch diskutieren, klarerweise wissen: Die Altengländer hatten Münzen, die wussten, was Münzen sind, die kannten das, die wussten, wozu das da ist, auch wenn sie es zum Teil anders benutzten. Aber dass Münzen überhaupt nicht vorkommen, obwohl die ganze Zeit von Schätzen die Rede ist, heißt, dass der Beowulf-Text uns damit etwas suggerieren will.

Andrew James Johnston: Er erfindet eine Vergangenheit, die so alt, so archaisch und so anders ist, dass sie selbst das Geld nicht kennt. Was dann wiederum eine tolle Frage ist: Was soll das heißen? Hier können wir nur spekulieren. Das könnte zum Beispiel heißen, es ist eine Welt, in der ökonomischer Austausch eben nur als Geschenk stattfindet.

Friederike Kroitzsch: Die Abwesenheit von Münzen im Beowulf suggeriert zeitliche Distanz, eine Art fremde Vorzeit. Aber wenn es nicht die Münzen sind, was für Objekte sollen uns im Beowulf dann diese erzählte Zeit näherbringen?

Friederike Kroitzsch: Offas Münze stellt ihrerseits einen Bezug zum römischen Reich her. Spielt also Rom als kultureller Bezugspunkt auch im Beowulf eine Rolle? Wenn Beowulf in einer Zeit spielt, in der (noch) kein Geld existiert, dann muss das Epos auch vor der römischen Antike spielen…

Andrew James Johnston: Das ist für uns moderne Leser·innen schon wieder besonders faszinierend, weil eigentlich Beowulf ja im alten Dänemark spielt und weil die Völkerschaften, die um Dänemark herum sind, eine Rolle spielen, also Südschweden, die sogenannten Gauten, die dort wohnen, die Schweden selbst, andere Völker, die dort im Nord- und Ostseeraum angesiedelt sind. Das heißt, das römische Reich dürfte aus unserer heutigen Kenntnis als archäologischer Überrest an den Orten, an denen Beowulf spielt, gar nicht vorkommen. Tut es aber, und zwar massiv.

Andrew James Johnston: Das heißt: Eine Höhle beispielsweise, in der der große Drache von Beowulf lebt oder in der er schläft auf seinem riesigen Schatz, wird von "stānbogan" gestützt. "Stānbogan" heißt Steinbögen, und Steinbögen werden mit der römischen Architektur identifiziert. Also der Bogenbau ist eine komplexe technische Erfindung. Die Römer konnten das sehr gut. Bauten mit Steinbögen sind für germanische Beobachter ganz klar römische Überreste.

Andrew James Johnston: Heißt das, dass die Angelsachsen sich einfach gar nicht darum kehrten und dass es ihnen eigentlich egal war, ob das alte Skandinavien zum römischen Reich gehörte oder nicht? Oder heißt es vielmehr, dass sie auf diese Weise das alte Skandinavien in den für sie so wichtigen und imposanten Bereich einer Romanitas – also einer Art römischen Kulturgemeinschaft – mit einschließen?

Friederike Kroitzsch: Zeitlich ist Beowulf also viel schwerer zu verorten. Es suggeriert eine Zeit, in der es noch kein Geld gab, die aber dennoch Nachfahre einer von Römern geprägten Kultur ist. Diese für unser Empfinden bereits äußerst widersprüchliche Konstellation gewinnt zusätzlich an Komplexität durch fiktive Objekte, denen wiederum jeweils eine eigene Zeitdimension eingeschrieben ist.

Andrew James Johnston: Die Objekte selbst können tatsächlich wie Akteure auftreten und haben ihre eigenen Zeitlichkeiten. Wenn wir sagen Zeitlichkeiten, meinen wir damit unterschiedliche Vorstellungen, mit Zeit umzugehen, sie sich vorzustellen, beispielsweise eine abgeschlossene Zeit. Eine abgeschlossene Zeit ist eine Zeit in diesem Zusammenhang, zu der die Gegenwart keinen Zugang mehr hat, eine Zeitstufe von größter historischer Tiefe, die von den Zeitgenossen als etwas ganz anderes wahrgenommen wird. Das zum Beispiel haben wir im Beowulf, wenn es um das Riesenschwert geht, das der Held Beowulf, während er mit der Mutter des Ungeheuers Grendel in der Tiefe ihrer Höhle kämpft, in letzter Sekunde noch im Schatz entdeckt und das er aus dem Schatz zieht und damit Grendels Mutter töten kann.

Friederike Kroitzsch: Beowulf hatte nachts die Halle des Königs der Dänen bewacht und das Ungeheuer Grendel besiegt, indem er ihm einen Arm ausriss. Die Feierlichkeiten anlässlich dieser Befreiung werden jäh getrübt durch Grendels Mutter, die nun im Land wütet. Beowulf findet den Rückzugsort der Grendels, der aus einer Art Unterwasserhöhle besteht. Beowulf taucht umringt von Meeresungeheuern hinab und gelangt zu dieser Höhle, in die kein Wasser eindringt. Es kommt zum entscheidenden Kampf gegen Grendels Mutter.

Andrew James Johnston: Ġefēng þā be eaxle — nalas for fǣhðe mearn — Gūð-Ġēata lēod, Grendles mōdor; bræġd þā beadwe heard, þā hē ġebolgen wæs, feorhġenīðlan, þæt hēo on flet ġebēah. Hēo him eft hraþe andlēan forġeald grimman grāpum ond him tōġēanes fēng...

Katharina Kwaschik: Der Gefolgsmann der Kampf-Gauten ergriff, Grendels Mutter bei der Schulter – er schreckte nicht vor dem Kampf zurück– warf sich nun, da er wütend war, tapfer auf den tödlichen Feind, dass sie auf den Boden sank. Schnell vergalt sie ihm darauf mit grimmigen Klauen seinen Angriff und griff nach ihm, er stolperte vor Erschöpfung, der stärkste aller Krieger, der Fußkämpfer, so dass er zu Fall kam.

Katharina Kwaschik: Sie saß nun auf dem Saalbesucher und zog ihr Messer, breit und mit glänzender Klinge; sie wollte ihr Kind rächen, ihren einzigen Nachkommen. Das gewebte Kettenhemd lag über seinen Schultern, schützte sein Leben gegen Spitze und gegen Schneide, verhinderte ihr Eindringen. Der Sohn Ecgtheows wäre da unter dem tiefen Grund zugrundegegangen, der Kämpfer der Gauten wenn ihm nicht das Kampfhemd, das harte Kriegsnetz, und der heilige Gott geholfen hätten. Der weise Herr, der Gebieter des Himmels gebietet über den Sieg, es fällt ihm nicht schwer, gerecht zu entscheiden – daher stand er wieder auf.

Katharina Kwaschik: Er sah da unter [anderen] Dingen eine sieggesegnete Klinge, ein altes Schwert der Riesen, mit tüchtiger Schneide, der Krieger Ruhm; dies war die erlesenste aller Waffen, doch größer, als dass sie irgendein anderer Mann zum Kampfspiel zu tragen vermocht hätte, wirkmächtig und reich ausgestattet, das Werk von Giganten.

Katharina Kwaschik: Er ergriff den Ringgriff, wild und schwertgrimm, der Kühne der Scyldinge, er zog das Ringverzierte (Schwert), nicht mehr ans Überleben glaubend, schlug wütend zu, dass sie hart am Hals getroffen wurde, der Knochenwirbel brach; das Schwert durchschnitt den todgeweihten Körper ganz, sie sank sterbend auf den Boden; das Schwert war blutig; der Mann erfreute sich seines Werkes.

Andrew James Johnston: Dieses Schwert ist eins, das eigentlich nicht mehr in Zirkulation ist. Es ist ein Schwert, das einst Riesen gemacht haben, und hier finden wir wieder den Begriff eotena geweorc, diesmal aber nicht als Metapher für römische Hochkultur, sondern wahrscheinlich als wörtlicher Begriff, der heißen soll: Das wurde einst von Riesen hergestellt, Riesen, die von der Sintflut zerstört werden und die eigentlich gar nicht mehr existieren dürften, womit plötzlich auch gezeigt wird, eine biblische Zeit dringt in die Zeit des alten Skandinavien ein, zwei völlig andere Vorstellungen, sich Geschichte zu imaginieren. Die Skandinavier sind ja keine Christen, das wissen die Altengländer sehr genau, wenn sie über ihre Gedichte schreiben. Und auf diese Weise entsteht so etwas wie eine strukturelle Ironie, also ein Unterschied im Wissen und Verstehen.

Friederike Kroitzsch: Die Leser*innen im frühen Mittelalter verstanden diesen Widerspruch, weil sie die christliche Zeitdimension kannten, diese Zeitlichkeit des Schwertes. Den Helden des Gedichts ist sie unbekannt, die verstehen nicht, worauf sie da gestoßen sind.

Jan-Peer Hartmann: Wobei man dazu auch sagen muss, noch mit dem Schwert. Es wird eben gesagt, das ist das Werk von Riesen, und dann wird aber eben explizit gesagt, auf dem Schwert selbst wird Bezug genommen auf den Untergang der biblischen Riesen, die Gott durch die Sintflut getötet hat. Das wird so explizit gesagt.

Andrew James Johnston: Und das würde bedeuten, dass eigentlich die Riesen, die durch die Sintflut zerstört waren, oder vernichtet wurden, dass sie dann später nochmal in der Lage waren, diese Schwerter herzustellen. Es entsteht damit also ein historischer Widerspruch, der bis zu einem gewissen Grade dadurch aufgelöst werden kann, dass hier eben zwei noch übrig gebliebene Riesen, das Ungeheuer Grendel und seine Mutter, ihr Unwesen treiben. Das dann würde wiederum bedeuten, dass der heidnische Held Beowulf, der von der christlichen Heilsgeschichte nichts weiß, ohne es zu wissen und vielleicht ohne es zu wollen, zum Vollstrecker des göttlichen Heilsplans wird.

Andrew James Johnston: Gewissermaßen, das Stückchen Sintflut, was nicht zum Ende gekommen ist, das wird von Beowulf zum Ende gebracht, indem er diese im buchstäblichen Sinne vor-sintflutlichen Monster tötet. Insofern entsteht hier sozusagen eine Verschränkung zwischen der christlichen Heilsgeschichte und der vorchristlichen germanischen Geschichte, denn die Germanen werden so dargestellt, als wären sie eigentlich auch schon irgendwie immer im Dienste Gottes unterwegs gewesen, selbst wenn sie das selber nicht erkannt hatten und auch nicht erkennen konnten.

Andrew James Johnston: Und damit haben wir wieder auch einen typischen Fall, wie die Angelsachsen bemüht sind, ihre eigene kulturelle Vergangenheit nicht nur in den Horizont des römischen Reiches, sondern irgendwie auch in den Horizont des Christentums einzubauen, aus dem sie historisch gesehen ja ursprünglich ausgeschlossen waren, in den sie erst eintreten mussten. Aber für dieses Eintreten gibt es dann gewissermaßen in die tiefe Vergangenheit hineinprojizierte Vorboten.

Katharina Kwaschik: Ein Kelch wurde ihm gebracht, und großer Freundschaftswille mit Worten bekundet, und gewundenes Gold freigiebig… zwei Armreife, Gewand und Ringe, die größte Halsberge von der ich je auf der Welt gehört habe… Der tapfere Herrscher nahm von seinem Hals einen goldenen Ring; [und] übergab dem Gefolgsmann, dem jungen Speerkämpfer; einen goldverzierten Helm, Halsberge und Kettenhemd… Dann überreichte ihm der Schutzherr der Krieger, Healfdenes Sohn, drinnen noch zwölf kostbare Erbstücke, hieß ihn mit diesen Geschenken seine eigenen Leute gesund aufzusuchen und bald zurückzukehren…

Katharina Kwaschik: Dann befahl der Schutzherr der Krieger, der kriegstapfere König, das mit Gold verzierte Erbstück Hrethels hereinzubringen – damals gab es bei den Gauten keinen besseren Schatz in Schwertform – diesen legte er in Beowulfs Schoß und übergab ihm siebentausend [Stück Land], eine Halle… So soll ein junger Mann unter seines Vaters Obhut mit reichen Geschenken Gutes tun, dass ihm später im Alter gute Gefährten erhalten bleiben mögen, die Leute ihm beistehen, wenn der Krieg kommt...

Friederike Kroitzsch: Das sind nur einige wenige Stellen aus dem Beowulf, an denen Geschenke überreicht werden.

Andrew James Johnston: Im Beowulf ist Schenken ein ganz, ganz wichtiger aristokratischer Akt, ein politischer Akt. Schenken kann einerseits eine Sache sein, mit denen der Gefolgsherr, der König, seine Krieger, seine bevorzugten aristokratischen Anhänger belohnt, und das muss er tun. Das gehört zu seiner Rolle. Die Großzügigkeit, die Freigiebigkeit, Gold und Geschmeide, Waffen kostbarer Art werden an die Anhänger verschenkt. Auf der anderen Seite aber kann in der Schenkung auch ein ganz komplexer kultureller Zusammenhang liegen, wie zum Beispiel eine Herausforderung. Denn der Beschenkte muss auch theoretisch in der Lage sein, zurück zu schenken. Oder die Gabe selbst hat eine symbolische Wirkung.

Friederike Kroitzsch: So erhält Beowulf, nachdem er Grendel getötet hat, eine goldene „Halsberge“. Wir wissen nicht, was das genau ist – ein Collier, ein Ring oder der Teil einer Rüstung.

Andrew James Johnston: Durch diese Schenkung wird Beowulf zu etwas anderem. Der bisher relativ unbekannte, kraftvolle Kriegerheld wird plötzlich zu einer dynastischen Figur. Er wird politisch aufgewertet. Dies ist ein Geschenk mit historischer Signifikanz. Indem er es empfängt und annimmt, wird ihm ein neuer, potenziell gefährlicher Rang zugebilligt. Und wie gefährlich dieser Rang ist, kann man daran erkennen, dass er dieses Geschenk später weiterreicht, nämlich an seinen eigenen König im Gautenreich: Hygelāc. Und indem er Hygelāc dieses kostbare Geschenk überreicht, zwingt er Hygelāc wiederum, ihm ein Gegengeschenk zu machen. Und das Gegengeschenk, das er erhält, ist ein großer Landbesitz und ein "bregostōl", das heißt ein Geschenk-Stuhl, wir würden sagen, ein Thron. Und indem Beowulf plötzlich mit riesigen Ländereien und mit einer Art Thron beschenkt wird, wird er als eine Art Unterkönig anerkannt.

Jan-Peer Hartmann: Und tatsächlich ist es ja so, dass Beowulf selbst Hygelāc überlebt und auch die Söhne von Hygelāc überlebt und dann am Ende selbst König wird.

Friederike Kroitzsch: Das frühmittelalterliche Epos Beowulf ist sich also der verschiedenen evozierten Zeiten sehr bewusst, der alttestamentarischen, christlichen Frühzeit, der heroischen Vorzeit, eines faktischen und eines zumindest in Dänemark fiktiven römischen Erbes. Es verwebt diese Elemente, oft an Gegenstände gebunden, zu einem nicht immer widerspruchsfreien Narrativ. Und es richtet sich wohl an eine Leser- und Zuhörer·innenschaft, die an einer Entwirrung dieser narrativen Fäden manchmal mehr und manchmal weniger interessiert war, jedenfalls dieses Spiel zu genießen wusste, zumal sie sich selbst als Teil eines kulturellen „melting pots“ wahrnahm.

Friederike Kroitzsch: Kehren wir von unserem kleinen Exkurs zum Beowulf also zurück zu König Offas Münze, deren Prägung strategischer Teil des Bemühens war, einen Herrschaftsanspruch durchzusetzen.

Andrew James Johnston: Offa schafft es durch eine Reihe von Maßnahmen, sich über die anderen Könige symbolisch, aber auch machttechnisch hinweg zu begeben, oder sich über sie zu erhöhen, und das ist ja im Mittelalter immer ganz wichtig. Die Möglichkeiten eines mittelalterlichen Herrschers waren eigentlich immer gering. Man hatte kein stehendes Heer, man hatte eine rudimentäre Verwaltung. Steuergesetzgebung gab es nur sehr eingeschränkt. Das Recht musste durchgesetzt werden, immer und mit Unterstützung derer, die in den lokalen Gegebenheiten da waren, d. h. man konnte nicht auf eine Polizei, auf einen Geheimdienst, auf ein technisches Hilfswerk usw. zurückgreifen.

Andrew James Johnston: Das bedeutet, dass jeder Herrscher, der erfolgreich ist, auch erfolgreich ist dank seiner Fähigkeit charismatisch zu wirken, seine Ansprüche symbolisch zu vermitteln, so etwas wie eine Ideologie seines Herrschertums zu inszenieren. Vor diesem Hintergrund sind solche Aktionen, wie etwa der große Wall wichtig, weil man damit zeigen kann: „Guck mal, ich bin der Herrscher, der es schafft 5.000 oder sogar 50.000 Leute zusammenzubringen, dass wir dieses hier aufschütten.“

Jan-Peer Hartmann: Und wir denken, dass Münzen da eine ganz zentrale Rolle auch spielen, denn Offa gehört zu den ersten Herrschern in Britannien, die ihr Abbild und ihren Namen auf den Münzen haben.

Friederike Kroitzsch: Aber was ist jetzt mit der Schlange auf der Rückseite der Münze?

Andrew James Johnston: Es ist nicht klar, handelt es sich hier um etwas Germanisches, handelt es sich um eine antike oder möglicherweise sogar eine biblische visuelle Anspielung? Das können wir nicht sagen. Schlangen und Drachen – wobei man Angelsächsischen gar nicht unterscheidet, das gleiche Wort wird für beides benutzt, das ist wyrm also analog zum Neuhochdeutschen „Wurm“, aber eben nicht wie im „Regenwurm“, sondern eher wie im „Lindwurm“, der „Drachen“. Die „drachenartige Schlange“, der „schlangenartige Drachen“, dass dieser Begriff für die Angelsachsen praktisch das Ornament schlechthin darstellt und wir finden es auch abgebildet auf Schwertern, auf Broschen und in der Literatur eben auch so genannt.

Jan-Peer Hartmann: Solche Schlangen oder Drachenwürmer finden sich ja auch auf Runensteinen in Skandinavien überall verbreitet. Also, sie sind für germanische Kunst eigentlich ganz typisch, aber sie sind eben auch ganz typisch für die keltische Kunst, und das ist auch gar nicht so klar, ob die Leute in der Zeit so stark dazwischen unterschieden haben, ob sie wirklich gesagt haben, „das ist hier keltisch“, „das ist germanisch“ oder ob das für sie nicht sowieso irgendwie ineinander verschwamm. Gerade wenn man sich auch anguckt, wie die Königshäuser und die Bevölkerung wahrscheinlich sowieso miteinander verwoben waren und es vielleicht nicht immer so eindeutig war, wer jetzt eigentlich Waliser, Kelte war, also wer war Brite und wer war Angelsachse. Das war vielleicht nicht immer wichtig, und man konnte das auch wechseln, je nachdem mit wem man gerade zu tun hatte.

Andrew James Johnston: Und das ist für uns auch eine ganz wichtige Beobachtung, weil sich daran nämlich zeigt, dass diese Idee, bestimmte Elemente sind exklusiv einer kulturellen Herkunft zuzuweisen und nicht der anderen, dass dieser sehr moderne Blick eigentlich nicht trägt. Sondern, dass es immer wieder faszinierend ist zu beobachten, wie sich die Darstellungsformen überlagern und eigentlich auf zwei sich – aus unserer historischen Perspektive – gegenseitig ausschließende Zusammenhänge verweisen können. Das heißt, was wir historisch als streng getrennt wahrnehmen, war für die Angelsachsen des 8. Jahrhunderts ein Spielmaterial, das man aufeinander beziehen konnte und das sich auch visuell und künstlerisch miteinander überlagerte.

Friederike Kroitzsch: Vielleicht werden wir also der Zeit, dem englischen Mittelalter, nicht gerecht, wenn wir zu jedem Bildobjekt auf der Münze eine eindeutige Bedeutungszuordnung erwarten, wenn wir so fragen, wie wir es zuvor gemacht haben. Was genau bedeutet die Schlange? Welche römische Münze mit welchem römischen Kaiser war genau das Vorbild für das Portrait Offas? Diese Fragen entsprangen einem Frageinteresse, das der Entstehungszeit und den darin komplex verwobenen Identitäten, geprägt durch Jahrhunderte von Eroberungs- und Migrationswellen, überhaupt nicht gerecht wird.

Jan-Peer Hartmann: Und wir denken, dass diese Offenheit auch ganz wichtig ist, also diese Offenheit der Darstellung selbst – wir können natürlich schwer sagen, ob Offa das intendiert hat, obwohl es überhaupt nicht ausgeschlossen ist, aber mindestens auf der Rezeptionsebene war es ja dann da. Die Leute, die diese Münzen gesehen haben, konnten das auf das, worauf auch immer sie gerade wollten, beziehen, und das war sicherlich etwas, das sehr wichtig für den Erfolg von Offa war. Dass er eben auch anschlussfähig für alle Arten von Gruppen war, ob er das gewollt hat oder nicht, wahrscheinlich schon, in irgendeiner Form.

Andrew James Johnston: Es ist ja einer der großen Vorurteile gegen das Mittelalter: Immer wieder, bis heute, wird betont, das Mittelalter hatte eigentlich keine so richtige Fähigkeit, historische Epochen und Zeiten zu unterscheiden. Es lebte in einer Art kindlichen Gleichzeitigkeit von allem mit jedem, wusste nicht den Unterschied zwischen dem alten Rom und dem Heiligen Römischen Reich, aber ganz so ist es nicht. Sondern, was wir hier erleben, ist die Fähigkeit, diese Dinge durchaus zu unterscheiden und gleichzeitig aber miteinander zu vermischen, zu vermengen und in Beziehung zu setzen, was nicht bedeutet, dass man nicht versteht, wo der Unterschied ist, sondern dass man, obwohl man einen Unterschied wahrnimmt, in der Lage ist, damit kreativ umzugehen und unterschiedliche neue Bedeutungen zu schaffen.

Friederike Kroitzsch: Das war die Folge: König Offas Münze. Wir danken Andrew James Johnston und Jan-Peer Hartmann für diese Reise durch die Geschichte und Literatur, so wie wir auch Christian Stoess und Karsten Dahmen danken für den Einblick in die Schätze des Münzkabinetts und ihre numismatische Expertise.

Friederike Kroitzsch: Also lesen Sie unbedingt den Beowulf, und besuchen Sie das Münzkabinett im Bode-Museum – vor Ort oder online. Im Online Katalog, unter ikmk.smb.museum können Sie hoch aufgelöst und vielfach vergrößert die bereits fotografierten Münzen der Sammlung betrachten. Sie haben dort sogar die Gelegenheit, dauerhaft, quasi für die Ewigkeit, eine Patenschaft für eine Münze der Sammlung zu übernehmen – nur die Münze mit Königin Cynethryth nicht mehr, denn diese Patenschaft haben wir bereits übernommen. Es gibt aber noch Zehntausende andere Schätze zur Auswahl.

Friederike Kroitzsch: Also bleiben Sie in Bewegung – auch digital.

Friederike Kroitzsch: Das war „Könnig Offas Münze“ aus der Reihe „Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören“. Eine Produktion des Sonderforschungsbereichs „Episteme in Bewegung“ und des Exzellenzclusters „Temporal Communities: doing literature in a global perspective“ an der Freien Universität Berlin, federführend Kristiane Hasselmann, Jan Fusek, Armin Hempel und Katrin Wächter. Ein Podcast mit Andrew James Johnston, Christian Stoess, Jan-Peer Hartmann und Karsten Dahmen. Stimmen: Friederike Kroitzsch und Katharina Kwaschik. Diese Folge ist in Kooperation mit den Staatlichen Museen zu Berlin entstanden. Deutschlandfunk Kultur ist Medienpartner.