Hinter den Dingen

Transkript

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00:00:01: Hallo! Ich bin Katrin von „Hinter den Dingen.“ Wir sind fast fertig mit der neuen Podcast-Folge, in der wir uns mit der Kopfgeburt der Athene beschäftigen.

00:00:09: Dabei geht es auch um einen der allerersten Texte der europäischen Literatur – um die „Theogonie“, also die Entstehung der Götter, die der griechische Autor Hesiod um 700 v. Chr. geschrieben hat. Was wir über Hesiod wissen und ob wir dem Glauben schenken dürfen, das erzählt uns jetzt Christian Vogel.

00:00:28: Die Theogonie, vielleicht um es erstmal inhaltlich zu sagen, ist ein Gedicht über die Entstehung, Entwicklung und Ordnung des Kosmos und der griechischen Götterwelt. Angefangen bei den Anfängen der Welt, endend in der Ordnung der Gegenwart, und das heißt, Gegenwart in der Zeit, die Herrschaft des Zeus über den Kosmos.

00:00:49: Das wäre vielleicht eine der kürzesten und prägnantesten Zusammenfassungen. Historisch betrachtet ist vielleicht noch wichtig zu erwähnen, dass die Theogonie zusammen mit Homers Ilias zu den ältesten Texten der europäischen Literaturgeschichte zählt, also auch wirklich den Anfang der europäischen Literatur darstellt, und Hesiod auch der erste ist, der seinen eigenen Namen in einem europäischen Text überhaupt nennt.

00:01:17: Bezüglich der Biographie Hesiods gibt es eigentlich eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist: Wir wissen erstaunlich viel über diesen Menschen, denn er hat uns das selbst übermittelt.

00:01:29: Wir wissen, dass sein Vater aus Kyme, das ist an der Westküste Kleinasiens, nach Böotien rüberkam. Er war Schifffahrer, flüchtete vor der Armut und erwarb dann ein kleines Grundstück in Askra, ein Dorf, das Hesiod selbst als unwirtlich, ungemütlich zu allen Zeiten beschreibt. Wir wissen, dass Hesiod einen Bruder hatte names Perses, mit dem er sich das Erbe des Vaters teilte. Wir wissen, dass Hesiod Hirte war und am Fuße des Helikon seine Schafe hütete. Und dort berichtete er, dass er inspiriert wurde von den Musen. Das kann man deuten, dass er am Fuße des Helikons, an dem es auch ein Heiligtum der Musen gab, dass er dort verschiedene Wandersänger kennengelernt hat.

00:02:14: Das kann man auch anders deuten. Jedenfalls wissen wir, er war Hirte und wurde dann zum Dichter. Jedenfalls inszeniert er sich so. Also das ist die gute Nachricht, dass wir eigentlich ziemlich viel von ihm wissen — Herkunft, Vater, er hatte einen Bruder, er war Hirte und ist dann zum Dichter geworden —; und die schlechte Nachricht ist, wir haben das zwar aus erster Hand, aber wir haben es eben von dem Dichter aus seiner eigenen Dichtung.

00:02:37: Und da beginnt das Problem, welchen Status diese Dichtung hat. Das fängt schon an, wenn man sich den Namen ‚Hesiod‘ selbst anschaut und versucht zu überlegen, was denn das eigentlich bedeutet, wo der herkommt. Es gibt Forscher, die führen den Namen auf orientalische Quellen zurück. Dann gibt es Überlegungen, den Namen aus den griechischen Wörtern für ‚genießen‘ und ‚den Weg‘ zurückzuführen – Hesiod ist der, der gerne reist; dann wäre das natürlich ein Name, den sein Vater, der ja selber Seefahrer war, ihm hätte geben können –; aber es kann genauso bedeuten‚ derjenige, der den Gesang hervorbringt‘. Und dann wäre es entweder ein Künstlername, dass er sich so nennt in dem Moment, wo er sich als Dichter versteht, oder dass der Dichter uns zeigt, dass er eigentlich seine Dichtung vollends beherrscht, und diese ganze Dichtung eigentlich voller sprechender und klingender Namen ist.

00:03:27: Das fängt bei Hesiod an – derjenige, der den Gesang hervorbringt. Und er nennt den Namen in einem Textumfeld, in dem wiederholt diese Stelle, dass der Gesang hervorgebracht wird, dass das immer wieder kommt. Und da passt das ganz gut, dass er sich selber auch diesen Namen gibt. Die Musen werden erst beschrieben in den Tätigkeiten und bekommen dann ihre Namen, die genauso sind, wie die Tätigkeiten, die sie vollführen. Askra bedeutet ‚karge Eiche‘. Perses, sein Bruder, mit dem er große Schwierigkeiten hat, bedeutet ‚Schädling‘. Dann hätten wir die These, dass wir es hier mit einem Dichter zu tun haben, der seine Dichtung voll beherrscht und hier ein Dichtungsprogramm entwirft, und dass wir eigentlich hier gar keine biografischen Inhalte finden.

00:04:10: Und genau das ist das Problem, dass wir einerseits wahnsinnig viele Informationen haben, andererseits diese Informationen nur aus der Dichtung selbst und nicht aus zeitnahen anderen Quellen bestätigt.

00:04:22: Das war Christian Vogel – Gräzist und Philosoph an der Freien Universität Berlin. Mehr zur „Theogonie“ hören Sie von ihm in Kürze in unserer Folge „Die Kopfgeburt der Athene, oder: Wie die griechische Götterwelt entstand“. Bis dann!

00:04:37: (Jingle) Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören.