5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören
00:00:00: JINGLE
Friederike Kroitzsch: Heute führt uns eine rubinrote Teekanne…
00:00:04: barocke Musik
Friederike Kroitzsch: …in das Labor des Alchemisten Johann Kunckel,an den Hof des Brandenburgischen Kurfürsten im 17. Jahrhundert und damit zur Entstehung der Chemie als Wissenschaft im modernen Sinne. Was macht die Nanotechnologie im Labor eines Alchemisten? Wie lautet das geheime Rezept für das Goldrubinglas? Und was sind das eigentlich für Geräusche auf der Pfaueninsel?
Friederike Kroitzsch: Mein Name ist Sophie Ruch. Und vom Sonderforschungsbereich „Episteme in Bewegung“ an der Freien Universität Berlin begrüßen wir den Literaturwissenschaftler Professor Volkhard Wels.
Volkhard Wels: Guten Tag.
Friederike Kroitzsch: Sie hören: Hinter den Dingen. 5000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören
Friederike Kroitzsch: „Die Verheißung der rubinroten Teekanne.“ Eine Geschichte in sieben Kapiteln.
Friederike Kroitzsch: Goldrubinglas als Luxusgut, oder: die Teekanne am Hofe des Kurfürsten von Brandenburg nebst einer Beschreibung ebenjener
Selda Kaya: Eine rubinrote gläserne Teekanne von etwa 12 Zentimetern Höhe. Sie wurde zwischen 1679 und 1693 gefertigt. Ihr harmonisch gewölbter breiter Körper reflektiert an seiner Oberfläche und hüllt zugleich alles Dahinterliegende in ein tiefrotes Schimmern. Der Glaskörper ist mundgeblasen und bis auf wenige Luftbläschen tadellos. Der angefügte Griff und die Tülle, an deren Ausgussöffnung eine etwa fingerhutgroße Kappe aus vergoldetem Silber sitzt, sind ebenfalls aus manuell geformtem Goldrubinglas. Ein vergoldeter Klappdeckel, reichlich ornamental verziert, ist am Griff befestigt. Die Kanne ruht auf einem runden und aufwändig getriebenen vergoldeten Fuß.
Friederike Kroitzsch: Goldrubinglas. – Gold ist das Edelmetall der Fürsten und tatsächlich ein Bestandteil des Goldrubinglases. Das Gold, das dem Glas während der Herstellung beigefügt wird, verleiht ihm die rubinrote Farbe. Aufgrund dieser Färbung nimmt man in der Frühen Neuzeit sogar an, dass im Glas während der Fertigung aus dem Gold Rubin entsteht. Diese verblüffende Annahme beruht auf einer Naturbeobachtung, wie sie etwa der Alchemiker Andreas Libavius beschreibt:
Matthias Kelle: Weil nämlich der Rubinstein an denen Oertern, da Gold ist, stetig gefunden wird, derowegen ist es glaublich, dass das Gold an dergleichen Oertern in Edelstein verwandelt werde.
Friederike Kroitzsch: Für Libavius weist die räumliche Nähe der Fundstätten von Gold und Rubin auf eine enge Verwandtschaft beider Stoffe hin. Im Goldrubinglas finden das Edelmetall und der Edelstein zusammen.
Friederike Kroitzsch: Rubin gilt seit der Bronzezeit als ein besonders wertvoller Edelstein. Ihm wird darüber hinaus eine magische und heilende Wirkung zugeschrieben. Wenn also der Kurfürst sich aus der Goldrubinglasteekanne einschenken lässt, glaubt er, dass sich die heilbringenden und wundersamen Kräfte aus dem Glas auf sein Getränk übertragen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Objekte aus Goldrubinglas in der Frühen Neuzeit sehr geschätzt werden. Dazu Volkhard Wels:
Volkhard Wels: Solche Teekannen waren Luxusobjekte an den Höfen der Frühen Neuzeit. Bis zu dem Zeitpunkt, bis ins frühe 17. Jahrhundert, kamen diese Luxusgüter vor allem aus der berühmtesten Glasmanufaktur Europas, nämlich der Insel Murano in der Lagune von Venedig. Dort war schon im ganzen Mittelalter das berühmteste Glas hergestellt worden. Erst im Laufe des Spätmittelalters, der Frühen Neuzeit hat sich das dann über Europa verbreitet. Es gab berühmte Glasmanufakturen im Böhmerwald, im Spessart oder in anderen waldreichen Gebieten. Aber jetzt war es für einige Jahrzehnte zumindest dieses Goldrubinglas, das aus der Mark Brandenburg stammte, das sich an die Spitze der europäischen Luxusgüter gestellt hatte.
Friederike Kroitzsch: Die Teekanne ist nicht wirklich ein Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs. Die handwerkliche Kunstfertigkeit und die Seltenheit des Objektes machen diese Kanne zu einem Sammlerstück, einem wertvollen Geschenk an ausländische Würdenträger, zu einem jener Objekte, die Fürsten in ihren Wunderkammern und Kuriositätenkabinetten aufbewahren.
00:03:59: Der Traum vom ewigen Leben und unendlichem Reichtum, oder: Johann Kunckel, Chymico, wie er und sein Wissen den Weg nach Brandenburg fanden
00:05:47: Kann Kunckel Gold machen, so bedarf er kein Geld, kann er solches aber nicht, warum sollte man ihm Geld geben?
Friederike Kroitzsch: Im Jahre 1677 verliert Johann Kunckel seine Anstellung als „Geheimer Kammerdiener und Chymico zu unserem geheimen Laboratorio“ am Hof des Sächsischen Kurfürsten. Obwohl er sich lieber Experimenten rund um die Glasherstellung gewidmet hätte, suchte er sieben Jahre im Auftrag des Fürsten nach einer sagenumwobenen Formel. Diese Formel soll die Welt verändern und verspricht ihm bzw. seinem Dienstherren unbeschreiblichen Reichtum. Es handelt sich um die magische Rezeptur, mit der man aus unedlen Metallen Gold und Silber herstellen kann – um die sogenannte transmutatio metallorum ...
00:05:47: JINGLE
00:06:51: Die Expertenminute mit Marcus Anhäuser
00:07:02: Der Begriff Alchemie leitet sich ab von chymeia, dem griechischen Wort für „Metallguss“. Seit dem ersten Jahrhundert nach Christus bis in die Frühe Neuzeit wurden Personen als Alchemisten oder Alchemiker bezeichnet, die zahlreiche Tätigkeiten gleichzeitig ausübten: Sie waren Forscher, Laboranten und Handwerker, die mit unterschiedlichsten Verfahren Stoffe analysierten und zu kombinieren versuchten. Sie waren zugleich aber auch Unternehmer, so genannte Projektemacher, die häufig auf die Gunst eines Fürsten angewiesen waren, um ihrer Tätigkeit nachgehen zu können.
00:07:02: Sie suchten nach dem Lapis Philosophorum, dem Stein der Weisen. Dieser mythische Stoff versprach ewige Jugend und sollte alle Krankheiten besiegen. Das zweite große Ziel der Alchemiker war die transmutatio metallorum, die Formel für die Verwandlung von minderwertigen Metallen in Gold und Silber.
00:07:02: Literatur und Wissenschaft zeichnen oftmals ein wenig schmeichelhaftes Bild der Alchemiker. Sie gelten als Scharlatane, die unter dem Deckmantel einer obskuren Magie mit mystischen, aber falschen Versprechungen Profit zu machen versuchten. Die Alchemie gilt geradezu als Gegenmodell zur modernen Wissenschaft, da sie auf der Suche nach Wunderdingen oft irrationale Wege einschlug.
00:07:02:
00:08:50: Johann Kunckel gehört sicher nicht zu den Betrügern unter den Alchemikern. Der Sohn eines Glasmachers erlernt in der elterlichen Hütte diese Kunst von klein auf. Später absolviert er eine Lehre als Apotheker und lernt dabei vor allem die chemische Zubereitung von Medikamenten. Kunckel muss sich einen gewissen Ruf der Ehrbarkeit erworben haben. Dieser bringt ihn letztlich an den Hof Friedrich Wilhelms von Brandenburg. Dem Großen Kurfürsten machen immer wieder unehrliche, unlautere Projektemacher teure Angebote.
00:09:23: Kennengelernt hat er den Großen Kurfürsten ja auch genau in einem solchen Fall, denn ein herumziehender Alchemiker hatte dem Großen Kurfürsten angeboten, ihm für eine unglaubliche hohe Summe ein Verfahren zu offenbaren, mit dem man Gold hätte herstellen können. Der Große Kurfürst erinnerte sich an Kunckel, der ihm kurz zuvor vorgestellt worden war, und erbat von ihm das, was man heute ein Gutachten nennen würde. Kunckel erstellte dieses Gutachten und deckte dabei auch gleich den Betrug dieses herumziehenden Alchemisten auf.
00:10:03: Friedrich Wilhelm bietet daraufhin Kunckel eine Anstellung als Glasmacher an. Das ist angesichts der wirtschaftlichen Lage des Landes ein kluger Schritt.
00:10:12: Die wirtschaftliche Situation Brandenburgs nach dem Dreißigjährigen Krieg war desaströs. Weite Landstriche waren verwüstet. Es gab keine wesentlichen Waren mehr, die exportiert werden konnten, und der Große Kurfürst war auf der Suche nach Innovationen. Und es war diese Situation, in der er mit Johann Kunckel einen Glasmachermeister fand, der ihm versprochen hat, so muss man sich das wahrscheinlich vorstellen, Brandenburg zu einem führenden Glasexporteur der Zeit machen zu können. Das war ökonomisch insofern sinnvoll, als Brandenburg genau über die Rohstoffe verfügte, die man brauchte um Glas herzustellen – nämlich vor allem Sand und Brennholz. Der Große Kurfürst hatte bereits eine Glashütte in Drewitz, und beauftragte Johann Kunckel damit, in dieser Glashütte hochwertiges Kristallglas herzustellen. Das war der Unterschied zu der Situation vorher. Mit Kunckel war jemand da, der die technischen Möglichkeiten besaß, hochwertiges Kristallglas herzustellen und damit eventuell in Konkurrenz zu den Produkten aus Italien zu treten.
00:10:12: Also bleibt Kunckel nach seiner Entlassung in Dresden nicht lange arbeitslos. Der Wunsch des Großen Kurfürsten nach Wohlstand und Aufschwung holt Kunckels Wissen nach Brandenburg.
00:10:12: „Ist ein unendlich’ Kreuz, Glas zu machen“, oder: wie es sich zutrug, dass das Goldrubinglas das Licht der Welt erblickte
00:10:12: Glas.
00:12:31: Noch heute spricht man vom vierten Aggregatzustand. Es ist weder flüssig, noch fest, noch gasförmig, in seiner Struktur, in seiner unsichtbaren Struktur chaotisch und trotzdem äußerlich wunderbar.
00:12:31: Mein Name ist Georg Goes. Ich arbeite als Museumsleiter, ausgebildeter Historiker im Museum und Glasstudio Baruther Glashütte.
00:12:31: Na, das einfachste Rezept ist eins, das nie bewusst aufgeschrieben wurde, würde ich sagen. Das ist eigentlich das Rezept, das natürliche Rezept für natürliches Glas, und das ist potenziell nur Sand, reiner Sand, der bei großer Hitze zu einem klaren Glas, zu einem Quarzglas geworden ist. Also man nehme Sand und besorge sich 1500 Grad, und dann hat man ein Quarzglas.
00:13:27: Das älteste überlieferte Rezept für die Glasherstellung stammt aus einer Assyrischen Bibliothek, ca. aus dem Jahr 650 v. Chr.
00:13:37: Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Salpeter, 3 Teile Kreide, mische sie, und du erhältst Glas.
00:13:37: Von nun an können zum Beispiel Kannen und Trinkgläser mundgeblasen werden. Seither hat sich am Rezept und den technischen Verfahren der manuellen Glasproduktion nicht viel geändert. Die Fertigung von Glas ist nach wie vor von perfekten Herstellungsbedingungen, viel Erfahrung und handwerklichem Geschick abhängig.
00:14:24: Glas zu machen ist eine Herausforderung. „Ist ein unendlich’ Kreuz Glas zu machen“, heißt es geflügelt. Und es ist heute noch so, aber in der Frühen Neuzeit war es besonders gegeben, weil die Rohstoffe natürlich schwer präzise zu analysieren waren und je nach Herkunftsort der Rohstoffe veränderten sich die Glasqualitäten, die Glasfarben. Und das ist eine Spezialität Kunckels, man hat experimentiert, wie man mit welchen Metalloxiden Quäntchen, ganz geringe Mengen, dann welche Färbung erreicht.
00:14:24: SOPHIE RUCH:[00:15:02.30] Bei unserer Teekanne aus Goldrubinglas ist es das hinzugefügte Gold, das für die Färbung sorgt. Es ist auch das Wissen um diesen Goldanteil, das sie zum Luxusgut macht.
00:14:24: VOLKHARD WELS:[00:15:13.20] Die prinzipielle Möglichkeit, Glas mit Hilfe von aufgelöstem Gold rot zu färben, war schon bekannt, bevor Kunckel sich an der Herstellung des Goldrubinglases versuchte.
00:14:24: JOHANN KUNCKEL:[00:15:23.70] Es war ein Doctor Medicinae, mit Namen Cassius, der erfand die Praecipitationem Solis cum Jove ...
00:15:30: ... also die Fällung von Gold mit Zinn ...
00:15:30: JOHANN KUNCKEL:[00:15:32.30] ... wozu vielleicht Glauber ...
00:15:30: VOLKHARD WELS:[00:15:34.50] ... das heißt Johann Rudolf Glauber, der Erfinder des gleichnamigen Glauber-Salzes ...
00:15:30: 15:38.90] Es war ein Doctor Medicinae, mit Namen Cassius, der erfand die Praecipitationem Solis cum Jove, wozu vielleicht Glauber mag Anlaß gegeben haben, solches stelle ich dahin. Dieser jetzt-bemeldte Doctor Cassius versuchte es ins Glaß zu bringen ...
00:15:30: VOLKHARD WELS:[00:15:54.40]... also das Glas damit zu färben ...
00:15:30: JOHANN KUNCKEL:[00:15:57.90] ... wann er es aber wollte in ein Glaß formiren, oder wann es aus dem Feuer kam, war es klar wie ein ander Crystall, und konnte es zu keiner beständigen Röthe bringen.
00:16:08: Am Anfang war es schwer, das Glas so zu färben, dass es seine rubinrote Farbe auch wirklich behielt. Das war insofern nicht ganz unproblematisch, als jeder gescheiterte Versuch auch dazu geführt hat, dass das Gold nicht mehr zurückzugewinnen war aus dem Glas. Wenn es einmal eingeschmolzen war, war es da nicht wieder rauszuholen.
00:16:08: Die eigentliche Leistung von Kunckel bestand gar nicht darin, dieses Verfahren entdeckt zu haben. Die technischen Grundlagen dafür waren schon längst vorhanden. Das schwierige war, ein Verfahren zu entwickeln, das ökonomisch rentabel war. Kunckel war also eigentlich eher das, was man heute einen Verfahrenstechniker nennen würde.
00:16:08: Woran Kunckel in Drewitz experimentiert hat, war ein wirtschaftlich vernünftiges Verfahren zu entwickeln, das Gold so in das Glas zu bringen, dass es sich rentiert hat, dieses Goldrubinglas herzustellen, auch wenn dabei immer wieder Ausschuss in wahrscheinlich großer Höhe produziert worden ist.
00:16:08: Man löst das Gold in Königswasser, einer Mischung aus Salz- und Salpetersäure, auf. Dann stellt man eine möglichst reine Glasschmelze her, fügt der Schmelze das aufgelöste Gold zu und fertigt die Objekte. Bei unserer Goldrubinkanne bläst man etwa zunächst den Hohlkörper.
00:16:08: DR. GEORG GOES:[00:17:30.80] Jedes mundgeblasene Glas ist erstmal ein Hohlkörper und das wird frei geformt. Ich vermute mal, diese Kunckel-Teekannen, die sind frei geformt. Das ist sozusagen das Gefäß. Und dann wird es heiß eingestochen, dort wo die Tülle, die Schnaupe, herankommt. Das wird herausgezogen, angarniert. Und dann kommt der Henkel dran. Beim berühmten Goldrubinglas von Johannes Kunckel musste man erstmal auf die Idee kommen, dass die Hinzugabe von Gold im Glasgemenge erstmal gar nicht die rote Erscheinung erzeugt, erst wenn es ein zweites Mal in das Feuer oder über die Schmelze in die Hitze des Ofenlochs gehalten wird, wird es rot. Als etwas zauberhaft Überraschendes.
00:16:08: [00:18:28.30]
00:16:08: Ich habe achtung gehabt auff einen Vogel /welchen die Philosophi nennen Orsan /derselbige fleucht so es im Wider /im krebs /oder in der waag ist /oder im steinbock /und du wirst dir denselben ewigklichen uberkommen auß reichen Mineralien / und kostbarn gebürgen /sein theil soltu teilen ...
00:16:08: Die Poesie der Rezeptur, oder: Betrachtungen zur alchemischen Sprache zwischen Verrätselung und Wissensvermittlung
00:16:08: [00:19:28.80]
00:16:08: ... Item wasch ab /und mache es Rein /und Schön /biß das es weiß wirt /Item mach es todt unnd machs wider lebendig / Item feuls und zerreibs /
00:16:08: biß das verborgne offenbar /und das offenbar verborgen wirt ...
00:16:08: SOPHIE RUCH:[00:19:42.20] Der „Splendor Solis oder Sonnenglantz“, ist eine reich bebilderte Lehrschrift in deutscher Sprache, ein Klassiker der Alchemie aus dem 16. Jahrhundert, in sieben Traktaten, die Angaben zu Herstellung und Wirkungsweise des Steins der Weisen enthalten.
00:16:08: [00:20:00.80]
00:16:08: ... Item den Venus mach weiß / dem Iupiter nimb sein krachen / mach hört den Saturnum /und mach weych den Martem / und mach Zitreinfarb die Luna ...
00:20:13: Die bildliche Sprache, wie wir sie hier in diesem Rezept des „Splendor Solis“ sehen, ist Allgemeingut der mittelalterlichen Alchemie. Was wir heute davon vielleicht noch am ehesten wiedererkennen, sind die Planeten als Bilder für die verschiedenen Metalle – also, dass Luna, der Mond, für das Silber steht, die Sonne steht natürlich für das Gold, Mars steht für das Eisen, Jupiter steht für das Zinn.
00:20:13: [00:20:39.40]
00:20:13: ... und in ein durchsichtiges dickes Wasser /das soll man coagulieren /darnach so nennen sie es Tinkturam Sapientiae / und ein Feur der Farben /
00:20:13: und ein Seel und Geist / der da weit gewandlet / wider heimziehen thut.
00:20:57: Die mittelalterliche alchemische Sprache ist nichts Poetisches, wie wir das heute wahrnehmen, sondern eigentlich ist die Poesie eine Verschlüsselungstechnik. Wir haben es bei der mittelalterlichen Sprache der Alchemie mit einer Arkansprache zu tun, einer Geheimsprache, die nur der verstanden hat, der eingeweiht war in die Bedeutung der verschiedenen Metaphern. Und genau sowas haben wir hier auch im „Splendor Solis“ vor uns.
00:21:27: Die alchemischen Texte bedienen sich auch einer Farbsymbolik. Die einzelnen Farben etwa deuten auf verschiedene Stadien von Schmelzprozessen hin. Wenn also im Text steht „Item den Venus mach weiß“, so wird das Metall hier durch Erhitzung zur Weißglut gebracht.
00:21:43: Die zweite Funktion, die diese mittelalterliche Arkansprache hatte, dürfte die mnemotechnische gewesen sein. Es ging ja dabei immer auch darum, dass der Alchemiker sich die Abfolge von bestimmten Prozessen einprägen konnte. Und was ist dafür hilfreicher als Bilder? Ein Beispiel wäre etwa das „Rosarium Philosophorum“ – 1550 zum ersten Mal gedruckt worden, aber wahrscheinlich sehr viel älter – und dieser Text, der eigentlich als Text eine sehr technische Sprache verwendet, ist mit merkwürdigen Bildern illustriert worden.
00:22:19: Dazu gehören etwa ein grüner Löwe, der eine Sonne frisst, der menschliche Geschlechtsakt, der mehrfach in diesen Bildern zum Gegenstand gemacht wird, oder, ganz am Ende des Textes, der auferstehende Christus.
00:22:31: Ich würde versuchen diese Bildwelt so zu erklären, dass es dabei um mnemotechnische Hilfestellungen geht, mit denen bestimmte Prozesse erinnert werden konnten. In der Chemie geht es um Prozesse der Vereinigung und der Trennung. Was lässt sich einfacher als Bildwelt dafür wählen als der menschliche Geschlechtsakt? Der grüne Löwe, der eine Sonne frisst, dürfte wahrscheinlich für Kupfer stehen, das geschmolzen wird und das in irgendeiner Form mit Gold zusammengebracht wird. Wenn am Ende dieses Buches der auferstehende Christus abgebildet ist, dann würde ich das nicht als einen religiösen Bezug deuten, denn nirgendwo in dem Text des Buches ist irgendwie von Religion die Rede, sondern einfach dafür verstehen, dass das ein sehr eindrückliches Bild dafür ist, für einen Destillationsprozess etwa, oder einen Wiedererweckungsprozess.
00:23:26: Die Funktion der Texte als Gedächtnisstützen hängt sicherlich mit der Weitergabe dieses Wissens zusammen. Das alchemische Wissen wird in mündlichen Unterweisungen vom Alchemiker an seine Adepten übergeben.
00:23:26: VOLKHARD WELS:[00:23:39.50] Wir haben keine Ausbildung, die Alchemie ist kein universitäres Fach, sondern wir haben es mit Leuten zu tun, die wahrscheinlich nicht sesshaft waren, herumgezogen sind, von Hof zu Hof gewandert sind, und dort ihr Wissen über Schmelztechniken oder chemische Techniken allgemein angeboten haben. Die Texte, die dabei entstanden sind, sind also wahrscheinlich Texte, die sowohl den Zweck erfüllen mussten, den Chemiker an bestimmte Verfahren zu erinnern, gleichzeitig aber nicht verständlich sein durften, so dass der Chemiker selbst überflüssig geworden wäre.
00:24:16: Es folgt nun in Auszügen ein Johann Kunckel zugeschriebenes Rezept zur Herstellung von Goldrubinglas.
00:24:24: Den Dukaten ganz klein und dünn geschlagen, in kleine Stücke geschnitten, und in ein klein Kölbchen gethan, 1 Loth Scheidewasser, 3 Loth Spiritus Salis und ein Quentchen Salmiak auf das Gold gegossen, und in die Wärme gestellt, bis es aufgelöst. Erstlich nimmt man 1 Loth gutes englisches oder nürnberger Zinn, auch in ein Kölbchen, und gießt 5 Loth, 1 Quentchen scheidewasser, 1 1/2 Loth Salzwasser dazu, so löst es sich auf. Zweitens. Dann nimm eine ...
00:24:58: Man hört sofort, was der Unterschied zu dem Rezept des „Splendor Solis“ ist, das wir vorhin gehört haben. Das ist ein Rezept, das tatsächlich schon ganz nah einem modernen Rezept ist. Es gibt konkrete Angaben – Mengenangaben, Zeitangaben, wann was zusammengeschüttet werden muss, und so weiter. All das erwarten wir auch heute schon von einem Rezept.
00:25:20: Drittens. Schwänke und rühre es wohl 1 bis 5 mal. Hiernach nimm einen reinen Topf, vorher ausgekocht und mit reinem Wasser getrocknet, danach thue alle Spezies hinein, setze es bei ein Kohlenfeuer und rühre es während des Kochens wohl durch einander mit einer hölzernen Kelle oder Löffel, bis es nach und nach eingekocht ist, so nimm Alles heraus ...
00:25:43: Es handelt sich hier um eine ganz pragmatische Sprache, ganz technische, pragmatische Sprache, keine Bildlichkeit mehr, keine Metaphern mehr, keine Arkansprache mehr. Damit haben wir bereits genau die Kriterien, die auch später dann für die wissenschaftliche Chemie entscheidend sein werden: die Nachvollziehbarkeit, Reproduzierbarkeit der Experimente oder der Produktion des Glases in diesem Fall.
00:26:09: ... rührt es untereinander, bis die Couleur gut ist. Das Anlaufen muß im Aschofen gesehn, mit fettem Kienholz und wohl in Acht genommen, daß es nicht schmelzt oder springt. „Probatum est.“
00:26:26: Kapitel 5: Ökonomische Bedingungen der alchemischen Forschung und Produktion, oder: das Goldrubinglas auf der Pfaueninsel bei Berlin
00:26:54: Pfaueninsel! Wie ein Märchen steigt ein Bild aus meinen Kindertagen vor mir auf: ein Schloß, Palmen und Känguruhs; Papageien kreischen; Pfauen sitzen auf hoher Stange oder schlagen ein Rad; Volièren, Springbrunnen, überschattete Wiesen; Schlängelpfade, die überall hinführen und nirgends; ein räthselvolles Eiland, eine Oase, ein Blumenteppich inmitten der Mark.
00:26:54: Aber so war es nicht immer hier. ...
00:27:37: Theodor Fontane beschreibt die Insel 1873 so, wie sie bis heute vor den Toren Berlins als Ausflugsziel die Familien anlockt. Begeben wir uns zu Kunckels Zeiten auf den Pfauenwerder, finden wir eine abgelegene, unzugängliche und bewaldete Insel vor. Dennoch herrscht dort reges Treiben. Nachdem Kunckel erfolgreich für den Großen Kurfürsten Glas in der Drewitzer Glashütte bei Potsdam produziert hatte, wurde eine neue Hütte auf dieser zuvor nahezu unberührten Insel für ihn angelegt. Hier stellt er verschiedene Gläser her – so vermutlich auch unsere Teekanne aus Goldrubinglas.
00:28:18: Für die Wahl ausgerechnet der Pfaueninsel als Ort für die neue Glashütte dürften verschiedene Faktoren gesprochen haben: Der Grund dürfte an erster Stelle der gewesen sein, dass die Rohstoffe für die Glasherstellung gerade auf der Pfaueninsel in üppigem Maße zur Verfügung standen – das heißt, an erster Stelle Sand und Holz. Eine Glashütte hat einen extrem hohen Verbrauch an Brennholz gehabt, und das war an dieser Stelle sehr leicht heranzuschaffen. Der zweite Grund dürfte gewesen sein, dass die Insellage sich deshalb besonders angeboten hat, weil dort die Brandgefahr geringer war, oder die Gefahr geringer war, dass ein Brand sich ausbreiten konnte, und viele Glashütten sind abgebrannt.
00:28:57: Kunckel werden vom Großen Kurfürsten nicht nur ein Labor und eine Glashütte auf der Pfaueninsel aufgebaut. Der Kurfürst schenkt ihm sogar die ganze Insel.
00:29:07: Wir Fridrich Wilhelm von Gottes gnaden Marggraf zu Brandenburg [...] [be]Urkunden [...] hiermit und Krafft dieses, daß Wir Unserm Geheimden Cammerdiener und Lieben Getreuen, Johann Kunckeln, den so genanten Pfauenwerder bei Potstam Erb- und Eigentümlich geschencket [...].
00:29:25: Die Tatsache, dass Johann Kunckel eine ganze Insel geschenkt bekommen hat, ist ein unglaubliches Privileg. Das ist nicht jedem Glasmachermeister in dieser Zeit gelungen und war sicherlich eine große Auszeichnung durch den Kurfürsten. Um das Rezept und die Verfahrenstechniken von Kunckel zu schützen, hat Kunckel auch für diese Insel eine ganze Reihe von anderen Privilegien bekommen, darunter das Privileg zu jagen, Bier zu brauen, Getreide zu mahlen und so weiter. Das heißt, es war auch von vorneherein das Ziel, diese Insel möglichst als autarke Forschungseinrichtung zu planen, die es so wenig notwendig machte wie möglich, dass die Mitarbeiter von Kunckel die Insel überhaupt verlassen mussten.
00:30:12: Und nachdem gedachter Johann Kunckel sich bishero bemühet, neben dem schönsten Cristall allerhand rare Gläser zu Unserm sonderbahren gnädigsten gefallen praepariret, So verordnen Wir und privilegiren Ihn, dass niemand in Unserer Chur- und Marck Brandenburg als Er und Unser Glasemeister, Jobst Ludwig, Christall machen lassen mögen, auch niemand dergleichen fremdes Christall herein führen solle; Was aber das Rubinglass betrifft, solches soll vor Ihm, Kunckeln, alleine bleiben, und andere, welche diese Kunst von Ihm abgelernet, und solches Glasmachen ihm zum Schaden und präjuditz treiben, hinführo sich dessen gäntzlich enthalten sollen, bey Vermeidung einhundert Thaler Strafe.
00:30:58: Wir müssen uns natürlich immer vor Augen halten, dass es so etwas wie das moderne Patentrecht oder den Werkschutz in der Frühen Neuzeit noch nicht gegeben hat. Das heißt, das Rezept von Kunckel war nur so lange ökonomisch relevant, wie es Kunckel gelungen ist, dieses Rezept geheim zu halten. Wenn dieses Wissen einmal in die Welt gekommen ist, dann war das Rezept ökonomisch wertlos. Das führte in der Frühen Neuzeit dazu, dass Alchemiker teilweise wie Gefangene behandelt worden sind. So war es nicht bei Kunckel. Kunckel war mit dem Kurfürsten befreundet. Er wurde wie ein Künstler von ihm gefördert und er hatte alle Freiheiten, die er brauchte.
00:31:34: Tatsächlich kann Kunckel das Geheimnis der Goldrubinglasherstellung nicht lange bewahren. Einer seiner Mitarbeiter, der die Methode von ihm erlernt hat, setzt sich ab. Er verkauft das Rezept gewinnbringend an anderen Höfen – sehr zum Verdruss von Kunckel.
00:31:52: Nun muß ich vor alle meine ihm erwiesene Treue und Information in der Chymie und dieser Wissenschaft aus der Frembde erfahren daß diese boßhaffte Seele nicht allein ehrendiebischer Weise mich an meinem guten Namen angreiffet sondern mich auch dergestalt verleumbdet als wann ich der gröste Idiot und lasterhaffteste Mensch von der Welt wäre. er ist am Bayreutischen Hofe und anderswo da er damit gekrämert so unverschämt gewesen daß er sagen dörffen ich hätte solche Wissenschaft von ihme gelernet. Dieser gottlose böse und undanckbareste Mensch den ich die Zeit meines Lebens an meinem Brodte gehabt ... Bösewicht, dessen Namen ich nicht würdig achte zu nennen ...
00:31:52: welchem ich so viel Güte erwiesen als einem von meinen eigenen Kindern ...
00:32:49: Auf der anderen Seite war es natürlich klar, dass jemand wie Kunckel auf der Pfaueninsel Mitarbeiter hatte, die er in das Rezept einweihen musste und die auch genau Bescheid gewusst haben, wie dieses Verfahren funktioniert hat, und es galt eben genau diese Mitarbeiter daran zu hindern, die Insel zu verlassen und ihr Wissen dann meistbietend weiterzuverkaufen, wie es genau dann dieser „gottlose und undanckbarste Mensch“ getan hat.
00:32:49: Die Herstellung des Goldrubinglases war eine extrem kostspielige Angelegenheit, und es hing damit auch vollständig von den Interessen des Auftraggebers – in diesem Fall, des Großen Kurfürsten – ab, dass Kunckel sein Goldrubinglas produzieren konnte.
00:32:49: Das zeigt auch nochmal, was es bedeutet, dass Kunckel seine Grundlagenforschung nicht an einer Universität durchführt, sondern im Auftrag des Kurfürsten, das heißt in einem höfischen Umfeld. An der Universität Wittenberg, an der er zuvor kurzfristig unterrichtet hat, wäre eine solche Grundlagenforschung finanziell überhaupt nicht möglich gewesen. Und das ist in gewissem Sinne auch eine Parallele zur Gegenwart, in der solche Grundlagenforschung ja auch mittlerweile in die Industrie ausgelagert wird.
00:33:59: Der Nachfolger des Großen Kurfürsten, Friedrich III., zeigt wenig Interesse an dem Goldrubinglas. Er investiert sein Geld lieber in das, was wir von absolutistischen Fürsten auch viel eher erwarten, nämlich in städtische Repräsentationsbauten, in diesem Fall in das Berliner Stadtschloss. Nach dem Tod des Großen Kurfürsten muss sich Kunckel deshalb auch eine andere Tätigkeit suchen. Er nimmt einen Ruf an den Hof des schwedischen Königs an und dient dort als Sachverständiger für Bergwerkstechniken.
00:33:59: JOHANN KUNCKEL:[00:34:33.50] Ars Vitraria Experimentalis, Oder Vollkommene Glasmacher-Kunst; Lehrende; als in einem aus unbetrüglicher Erfahrung herfliessendem Commentario über die von dergleichen Arbeit beschriebenen Sieben Bücher P. Anthonii Neri, von Florentz ...
00:34:57: Kapitel 6: „Noch zu rar, gemein zu machen” oder: warum das Rezept des Goldrubinglases in Johann Kunckels Buch fehlt
00:34:57: (im Zeitraffer) ... die allerkurtz-bündigsten Manieren, das reineste Chrystall-Glas; alle gefärbte oder tingirte Gläser; Künstliche Edelstein oder Flüsse; Amausen oder Schmeltze; Doubleten; Spiegeln, das Tropff-Glas; die schönste Ultramarin, Lacc- und andere nützliche Mahler-Farben; Jngleichen wie die Saltze zu den allerreinesten Chrystallinen Gut nach der besten Weise an allen Orten Deutschlands mit geringer Müh und Unkosten copieus und compendieus zu machen auch wie das Glas zu mehrer Perfection und Härte zu bringen. Nebst ausführlicher Erklärung aller zur Glaskunst gehörigen Materialien und ingredientien. Samt einem II. Haupt-Theil, darinnen vom Glasmahlen Vergulden und Brennen; Vom Holländischen Kunst- und Barcellan-Töpfferwerck; Vom kleinen Glasblasen mit der Lampen; Von einer Glas-Flaschen-Forme die sich viel 1000. mal verändern lässet; Wie Kräuter und Blumen in Silber abzugiessen; Gypß zu tractirn; Rare Spiec- und Lacc-Fürnisse; Türckisch Pappier: [et]c ...
00:34:57: [00:35:11.70]... Jtem der vortreffliche Nürnb. Gold-Strau-Glantz; und viel andere ungemeine Sachen zu machen / gelehret werden / mit einem Anhange von denen Perlen und fast allen natürlichen Edelsteinen.
00:34:57: SOPHIE RUCH:[00:35:26.80] So lautet der vollständige barocke Titel von Kunckels Standardwerk zur Glasherstellung. Darin sind eine Vielzahl an Rezepten enthalten und konkrete Verfahrensweisen zur Fertigung von verschiedenen Glassorten.
00:35:41: Die „Ars Vitraria Experimentalis“ von Johann Kunckel ist im Grunde nur die Bearbeitung eines italienischen Originals, nämlich der „Ars Vitraria“ Antonio Neris. Was den Unterschied ausmacht zwischen den beiden Werken, das erkennt man schon an dem Titel. Kunckels „Ars Vitraria“ heißt nämlich „Ars Vitraria Experimentalis“. Und das ist es genau, auf was es Kunckel ankommt: auf die experimentelle Nachprüfbarkeit seiner Rezepte. Während Antonio Neri einfach nur die Glasrezepte gesammelt hatte, die er bei den Handwerkern finden konnte, ist Kunckel jetzt jemand, der diese Experimente wirklich im Labor nachkocht, der ausprobiert, wie diese Rezepte und ob sie funktionieren. Kunckel beschreibt in der „Ars Vitraria Experimentalis“, wie er mit diesen Verfahren arbeitet, und wie diese Verfahren so verändert werden können, dass konstante, gleichmäßige Ergebnisse dabei herauskommen.
00:35:41: Und das Goldrubinglas? – Auf seinen Reisen durch Europa, auf denen er die Rezepte zur Herstellung von Glas zusammenträgt, stößt Antonio Neri auch auf eine Rezeptur für Goldrubinglas. Er nimmt sie in seine „Ars Vitraria“ auf, übersetzt „Glasmacherkunst“:
00:37:09: Man calciniret das Gold mit Aqua Regis, und giesset eben dieses Wasser zum fünfften oder 6ten mahl darüber: Solches Gold-Pulver wird in einen reinen Teigel gethan und so lang in den Reverberir-Oeffelein gehalten biß es roth wird welches innerhalb etlichen Tagen geschiehet: dieses rothe Pulver nun so es einem gereinigten Crystall welches zum öfftern in das Wasser geworffen behutsam und gemächlich zugesetzet wird so wird es die Röthe eines warhafftigen oder natürlichen und durchsichtigen Carbunckel-Steins erlangen; wie solches durch die Erfahrung ist bestättiget worden.
00:37:51: Ist es möglich, mithilfe dieser Anleitung unsere Teekanne herzustellen? Laut Kunckel: Nein. Wie alle anderen Rezepte probiert er auch dieses im Labor aus und publiziert seinen Kommentar in der „Ars Vitraria Experimentalis“.
00:37:51: Dieser theure und kostbare Modus ist zwar von vielen versucht aber darinnen wenig Vergnügen gefunden worden; es gehört auch mehr dazu das Gold dahin zu bringen daß es dem Glas seine rothe Tinctur mittheile und dasselbe in einen Rubin ja gar Carfunckel verkehre. Und hätte der Autor näher zum Ziel schiessen müssen wann man glauben solte daß er dergleichen gemacht oder machen können.
00:38:33: Kunckel hebt in seiner Kritik deutlich den Unterschied zwischen seiner Arbeitsweise und der von Neri hervor. Neri hat keinerlei praktische Erfahrungen und kann daher bei den Rezepten, die er kritiklos übernimmt, überhaupt nicht einschätzen, ob sie ansatzweise funktionieren, oder weit am „Ziel vorbeischiessen“.
00:38:33: Schützt er sein Rezept, indem er es für sich behält, oder möchte er sein Expertenwissen veröffentlichen?
00:38:33: In der „Ars Vitraria Experimentalis“ geraten verschriftlichtes gelehrtes Wissen und mündliches personenengebundenes Wissen in Konflikt. Mit der Veröffentlichung dieses Rezepts könnte Kunckel höchstes Ansehen und Gelehrtenruhm erlangen.
00:38:33: Kunckel entscheidet sich, uns das Rezept für Goldrubinglas in seinem umfangreichen Kompendium nicht mitzuteilen, kommentiert aber diese Lücke.
00:39:39: Hier wolte ich gerne einen bessern Modum anzeigen und auff eine compendieuse Art das rothe oder Rubin-Glas lehren wenn es nicht vor eine sonderbare Rarität von meinem Gn. Churfürst und Hn. gehalten würde: Wer es aber etwan nicht glauben will daß ichs kann, der komme ins künfftige und sehe es bey mir. Wahr ists: Es ist itzo noch zu rar, gemein zu machen!
00:40:04: Kunckel lädt uns mit diesen Worten in sein eigenes Labor auf der Pfaueninsel ein. Das ist ein sehr interessanter Punkt. Er würde gerne mitteilen, was er geschaffen hat, was er entdeckt hat, aber er kann es nicht, ohne die ökonomischen Interessen des Großen Kurfürsten zu gefährden. An der Person von Kunckel wird deshalb auch deutlich, an welchem wissenschaftshistorischen Punkt wir um 1700 stehen. Das chemische Wissen beginnt sich seiner selbst bewusst zu werden, und als chemisches Wissen will es dann eben, muss es dann eben auch veröffentlicht werden. Es darf nicht einfach nur mehr im Dienste der Herstellung von Goldrubinglas stehen, sondern es geht um das Wissen als solches.
00:40:47: Kapitel 7: Von der Kontinuität der Chemie, oder: welch transmutatio metallorum Johann Kunckel beobachtete
00:41:03: Die Teekanne aus Goldrubinglas wird technisch betrachtet mit einem Verfahren hergestellt, das man heute Nanotechnologie nennen würde. Das Gold löst sich im Königswasser zu Nanopartikeln auf, und beim zweiten Erhitzen, dem Tempern des Objektes, ordnen sich diese Nanopartikel dann zu kleinen Kolloiden von jeweils ca. sechs bis acht Nanometer Größe. Diese Klumpen verschlucken den blauen und grünen Teil des Lichts, so dass die rote Farbe des Glases entsteht. Natürlich waren Kunckel diese chemischen Mikroprozesse nicht bekannt und er hätte sie dementsprechend auch nicht beschreiben können.
00:41:33: Was aber ganz selbstverständlich und regelmäßig vor den Augen der Alchemiker geschieht, ist, dass sich Substanzen in andere Substanzen überführen lassen. Schon vor Jahrtausenden fanden die Menschen heraus, wie man aus dem Zusammenschmelzen von Zinn und Kupfer Bronze erhält, die in vielerlei Hinsicht höhere Qualitäten besitzt als die Summe ihrer Teile.
00:41:56: Das „gröbst und ungeschickteste wovor ein Gelährter mann erröthen solte daß er sich publice damit mercken liesse wenn er gleich bey sich einen Zweiffel hätte [an der] Transmutatio Metallorum; Denn dieses zu negiren steht nur solchen Leuten zu die in der Natur weiter nichts als aus Büchern wissen“.
00:42:14: Von der Möglichkeit Gold herzustellen, ist Kunckel fest überzeugt. Was sollte man auch anderes von jemandem erwarten, der tagtäglich am Schmelzofen sieht, wie aus Sand und Pottasche Glas wird? Oder, wie beim Goldrubinglas, das Gold das Glas in dessen Substanz bleibend verändert. Das Gold kann man nicht wieder zurückgewinnen. Es ist zusammen mit dem Glas eine unauflösliche Verbindung eingegangen. Die aus diesen Beobachtungen abgeleitete Erwartung, Gold künstlich herstellen zu können, ist also gar nicht so abwegig.
00:42:53: Die Herausbildung des Chemikers als eines Berufsbildes – das sieht man an der Person von Kunckel – geht einher mit der Formierung der Chemie als Wissenschaft im modernen Sinne. Aber das heißt eben nicht – und auch das zeigt die Person von Kunckel exemplarisch –, dass das Wissen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alchemie nur Betrügerei, Narrheit oder Scharlatanerie gewesen wäre.
00:42:53: Das Wissen der mittelalterlichen Alchemie war eben immer auch schon chemisches Wissen. Es ging dabei um genau die dieselben Prozesse und genau um dieselben Verfahren, die dann auch für die wissenschaftliche Chemie des 19. Jahrhunderts relevant werden. Und das einzige, was diese beiden Wissensformen voneinander unterscheidet, ist nicht das Wissen als solches, sondern die Art, wie es vermittelt worden ist. Kunckel steht mit seinem Wissen genau an der Schwelle zwischen einem handwerklichen, vor allem mündlich vermittelten Wissen der frühneuzeitlichen Chemie und einem schriftlichen, im Experiment überprüften Wissen und immer wieder überprüfbaren Wissen wie es dann mit dem 17. Jahrhundert aufkommen wird.
00:42:53: Und das ist dann in letzter Instanz auch der entscheidende Punkt. Dass es die Alchemiker waren, die im Recht waren, die zurecht daran geglaubt haben, dass es möglich ist, neue Stoffe herzustellen, dass es möglich ist, Gold herzustellen. Und das ist ja mit den modernen Teilchenbeschleunigern möglich geworden – auch wenn es ökonomisch nicht sinnvoll ist –, aber transmutatio metallorum, die künstliche Herstellung von Gold, ist möglich geworden. Und es waren nicht diejenigen im Recht, die seit dem 18. Jahrhundert die Alchemiker als Scharlatane hingestellt haben, sondern im Gegenteil, diese Alchemiker waren im Recht. Und das heißt, dass diese frühneuzeitliche und die mittelalterliche Alchemie immer schon in ihrem wesentlichen Kernanliegen moderne Chemie war.
00:44:35: Probatum est. Danke, Herr Professor Wels!
00:44:40: Gerne!
00:44:43: Und damit endet unsere Geschichte der rubinroten Teekanne. Danke fürs Zuhören – bis zum nächsten Mal.
00:44:43: Und bleiben Sie in Bewegung.
00:44:43: Friederike Kroitzsch sowie Marcus Anhäuser, Alexander Bandilla, Selda Kaya und Matthias Kelle.Diese Folge ist in Kooperation mit dem Stadtmuseum Berlin und den Staatlichen Museen zu Berlin entstanden.Deutschlandfunk Kultur ist Medienpartner.
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