Hinter den Dingen

Transkript

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00:00:00: Willkommen beim Bonusmaterial zur Folge "Die Berliner Volksbetrugsfrage". Wir haben für die Folge mit Professor Christoph Markschies, dem designierten Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gesprochen. Das vollständige Interview hören sie jetzt.

00:00:18: (Jingle) Hinter den Dingen. 5.000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören

00:00:29: Herr Markschies, gibt es heutzutage an den Akademien solche Preisfragen, wie sie in der Podcastfolge behandelt werden?

00:00:36: Die alten Akademien in der Bundesrepublik Deutschland, also die viele Jahrhunderte alten Akademien, stellen lustigerweise keine Preisfragen mehr, aber die Junge Akademie. Die Berlin-Brandenburgische Akademie hat gemeinsam mit der Leopoldina eine Nachwuchsakademie gegründet und die hat gleich als erstes wieder angefangen, Preisfragen zu stellen, z.B. die Frage, was im Tier uns anblickt und dafür unglaublich viele Antworten bekommen, also ganz scheinbar alte und von den älteren für überlebt gehaltene Ideen kommen urplötzlich durch die Jugend, also den akademischen Nachwuchs, wieder aufs Tapet.

00:01:20: Wie und wo werden die Antworten bzw. Ergebnisse vorgestellt?

00:01:25: Bei der Jahresveranstaltung der Jungen Akademie werden die interessantesten Ergebnisse, und das sind heute durchaus nicht mehr nur Texte, es sind manchmal auch Filme, es sind Performances, Kulturen werden präsentiert und vorgestellt.

00:01:42: Richten sich diese Preisfragen auch an eine breitere Öffentlichkeit?

00:01:46: Nun hat sich die Öffentlichkeit ja gegenüber dem 18. Jahrhundert doch ein klein wenig verändert, sie ist segmentierter geworden und man muss ehrlicherweise sagen, wir wünschen uns glaube ich alle, dass unsere Preisfragen, "Was im Tier blickt uns an?", alle interessieren, es ist aber faktisch vermutlich schon so, dass es eine bestimmte Art der Öffentlichkeit ist. Vieles hängt ja heute an Wissenschaftskommunikation, wie man das kommuniziert. Vor unserem Akademiegebäude auf dem Gendarmenmarkt steht eine große Litfaßsäule und wenn man auf der Litfaßsäule die Preisfrage und einen entsprechenden Link zu einer Homepage angibt, klicken das natürlich schon 'ne ganze Menge Leute an. Man darf sich aber, glaub ich, auch nicht über die Reichweite insofern Illusionen machen, dass man sich vorstellt, man spricht nun vom Bauern an der Oder bis zum Stahlarbeiter in Bochum, wenn's das da überhaupt noch gibt, alle Menschen an.

00:02:50: Es scheint ja ein Bemühen zu geben, gesellschaftlich relevante Fragen zu stellen, so wie Friedrich der Große, wie im Podcast gehört, der Akademie vorschreibt, nur relevante und nützliche Fragen zu stellen. Treibt die Junge Akademie ein ähnlicher Impuls an?

00:03:06: Das ist vergleichbar, man könnte sogar noch 'nen Schritt weitergehen und sagen, in der Wissenschaft insgesamt und auch in den Akademien gibt es was der alten Preisfrage Vergleichbares. Früher hat Wissenschaft, und da waren die Akademien ganz vorn dran, etwas produziert und gehofft, die Öffentlichkeit nimmt das ab. Hat einen Band Marx Engels, Nietzsche, Griechische Inschriften in Schweinsleder gebunden ausgeliefert und manche Leute haben drin gelesen. Heute versuchen wir ja die Fragen, zu denen wir antworten, mit der Öffentlichkeit gemeinsam zu finden. Englisch, wie Wissenschaftsenglisch im Augenblick immer ist, open science, also die Grundvorstellung, dass die Agenda der Wissenschaften nicht von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern allein gesetzt wird, wobei man immer darauf achten muss, das ist ja in der Preisfrage auch so, die Souveränität und Freiheit der Wissenschaft gewahrt bleibt. Nicht alle Wissenschaft ist verzweckt und macht nur das, was irgendwer von ihr haben will, sie hat auch einen kritischen Impuls, aber wir entwickeln Forschungsfragen gemeinsam mit der Öffentlichkeit für die wir forschen und das ist 'nen bisschen transferiert die Idee der Preisfrage in die Gegenwart.

00:04:27: Grenzt sich die Akademie auch heute noch so dezidiert von den Universitäten ab?

00:04:33: Also Abgrenzung ist nie gut in einer Epoche, wo die Fragen so kompliziert geworden sind, nicht nur die Preisfragen, dass man Teams braucht, die sie beantworten. Nein, ich glaube, neuzeitliche Entwicklung hat immer mit Funktionsdifferenzierung zu tun. Ich bin Theologe, ich kann aber inzwischen keine Kranken mehr heilen, dafür gibt's hoch professionalisierte Medizin. Meine Aufgabe hat sich präzisiert und ist komplexer geworden, aber auch ein bisschen in der Reichweite kleiner. Und so ist das mit Akademien: die erfüllen sehr bestimmte Aufgaben, wir machen Forschungen von so langer Dauer, dass die an Universitäten nicht funktionieren, aber wir können sie nur mit Universitäten zusammen machen, denn: Wer soll denn forschen? Das müssen ja die Leute sein, die an den Universitäten ausgebildet werden, und irgendwann hat man vielleicht auch mal keine Lust mehr, Schweinslederbände - inzwischen ja digitale Editionen - von Nietzsche, griechische Inschriften und Marx Engels herauszugeben, also das Wissenschaftssystem ist ja ein lebendiger Kreislauf, in denen Akademie ein Teil der wissenschaftlichen Biografie ist und insofern arbeiten wir mit den Universitäten eng zusammen, werden in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, weil eine der Dinge, die ich mir für die Berlin-Brandenburgische Akademie vorgenommen habe, eine viel viel engere Zusammenarbeit mit den wunderbaren Universitäten im Berlin-Brandenburger Raum ist.

00:06:00: Wie lässt sich die Aufgabe, die Rolle von Akademien heute fassen?

00:06:05: Eine Akademie der Wissenschaften im 21. Jahrhundert darf man sich vorstellen wie ein Gebäude, in dem es drei, miteinander kommunizierende Teilbereiche gibt. Man könnte auch sagen, Säulen, die ein Dach tragen. Teile einer lebendigen Herzkammer. Das Eine ist, es ist eine geisteswissenschaftliche Großforschungseinrichtung, die Berlin-Brandenburgische Akademie ist eine der größten geisteswissenschaftlichen Großforschungseinrichtung, die Projekte betreibt, die langen Atem brauchen. Griechische Inschriften werden immer gefunden, da muss es Leute geben, die die auswerten und so zur Verfügung stellen, dass man weiß, was da Interessantes, Neues gefunden ist, und wie das unser Bild von der Geschichte der Antike verändert. Dann ist eine Akademie eine Einrichtung, in der Gesellschaft und Politik beraten werden. Die Berlin-Brandenburgische Akademie hat mal Gesundheitssysteme in Europa verglichen und eine große, dicke Analyse dazu geschrieben und zwanzig Seiten für die Bundestagsabgeordneten, die das zusammengefasst hat, nicht im Sinne von: „Ihr müsst so reformieren“, sondern: „Das sind die drei Optionen. Für die spricht das, für die spricht das.“ Also, zweite Herzkammer oder Säule Politikberatung. Und die dritte ist das, was man früher Gelehrtengesellschaft genannt hätte, eine Gruppe von herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die neugierig aufeinander sind und sich Zeit nehmen, Fragen in Ruhe miteinander zu besprechen. Und in der Kombination der drei, also die Wissenschaftler könnten sich auch im Lokal treffen und die Großforschung könnte auch auf der grünen Wiese stattfinden, und die Politikberatung könnte auch im Flugzeug nach Brüssel stattfinden, aber die Kombination dieser drei, die macht es eigentlich spannend, dass mit den Fragen von heute die großen, kulturellen Quellenkorpora untersucht werden, dass die gegenwärtig aktuellen Fragen der Gesellschaftsberatung mit dem historischen Wissen untersucht werden und, dass das alles von einer diskussionsfreudigen und lebendigen Gruppe von Menschen gemacht wird. Das zusammen macht, wie man heute sagen, würde den unique selling point, das, was es nur an einer Akademie gibt, aus, und die Berlin-Brandenburgische Akademie als Hauptstadtakademie macht das in besonders feiner Weise, aber natürlich gemeinsam mit vielen anderen.

00:08:32: Vollenden Sie bitte den Satz "Für die Berlin-Brandenburgische Akademie wünsche ich mir in Zukunft…"

00:08:40: Für die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften wünsche ich mir in Zukunft, dass sie ein quicklebendiges Laboratorium von Aufklärung durch Wissen in der Mitte Berlins ist und bleibt und noch mehr wird.

00:08:56: (Jingle) Hinter den Dingen. 5.000 Jahre Wissensgeschichte zum Mitnehmen und Nachhören